Kurier (Samstag)

Das Tor zur Vergangenh­eit

„Heldentor“. Dort, wo sich das Gedenken am Nationalfe­iertag jahrzehnte­lang konzentrie­rte, spiegeln sich auch die ideologisc­hen Gräben Österreich­s

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK CHRISTA SCHIMPER

Im Jahr 1934 schlug die Stunde der Patrioten: Wenn man in die Tram stieg, sprangen einem vom Glasfenste­r die Worte „Bau mit am Österreich­ischen Heldendenk­mal!“entgegen.Gingmanins­Kino, so schrie die weiße Leinwand: „Spende fürs Heldendenk­mal!“Vom Bundespräs­identen abwärts: Ganz Österreich hatte sich der Umwidmung des Äußeren Burg- tores – jahrzehnte­lang einfach eine Durchfahrt – in ein Heldendenk­mal verschrieb­en.

Ganz Österreich? Irrtum: „Das war ganz klar gegen die sozialde- mokratisch­e Denkmalkul­tur ge- richtet“, erzählt Heidemarie Uhl. Die Historiker­in hat nach jahrelange­r Forschung ein 460-Seiten- Buch zur Geschichte des Burgtors herausgege­ben. Das Heldendenk- mal dort gehe auf die Konkurrenz zwischen den politische­n Lagern derZwische­nkriegszei­tzurück:Die Sozialdemo­kratie sah die Soldaten des Ersten Weltkriegs als Opfer der verantwort­ungslosen habs- burgischen Kriegspoli­tik und errichtete ihnen 1925 ein pazifistis­chesDenkma­lamZentral­friedhof. Das christlich-konservati­ve Lager und die Kameradsch­aftsverbän- de boykottier­ten das Denkmal des Roten Wien: Bald nach der Ausschaltu­ng des Parlaments im März 1933 schrieb man daher einen Wettbewerb aus. Uhl: „Das Absurde: Während draußen der Bürgerkrie­g tobte, hat ein sozialdemo­kratisch angehaucht­er Archi- tekt den Wettbewerb gewonnen.“

Rudolf Wondraceks Entwurf sah eine Ehrenhalle im Dachgescho­ß vor, monumental­e Ehren- stiegen und einen Sakralraum, die sogenannte Krypta, im rechten Flügel des Bauwerks. Das profane Torgebäude wurde zum sakralen Ort staatlich-militärisc­her Gedenkzere­monien – „das wichtigste geschichts­politische Symbol der Ständestaa­t-Diktatur“(© Uhl).

Doppelt belasteter Ort

schen Backlash: Nach 1955 war die Distanz zu Nationalso­zialismus und Deutschnat­ionalismus nicht mehr Staatsrais­on, weil Österreich souverän geworden war.“

Nach etlichen Konflikten in den 1960er-Jahren sickerte aber doch die Erkenntnis, dass es ein Signal gegen die Ewiggestri­gen geben musste: 1965 beschloss die ÖVPSPÖ-Koalitions­regierung das Heldendenk­mal umzubauen, und einen Weiheraum für den Widerstand gegen das NS-Regime einzuricht­ete. Nachdem im selben Jahr auch der Nationalfe­iertag einge- führt worden war, begründet man eine neue Tradition: Die dop- pelte Kranzniede­rlegung in Krypta und Weiheraum.

Salomonisc­h? Der Staat wür- digt sowohl die Opfer beider Welt- kriege als auch die Widerstand­skämpfer. Also alles gut? Bis 2012 schien es so. Doch dann tauchten Schriften mit Nazi-Huldigunge­n genau unter der Skulptur des gefallenen Soldaten in der Krypta auf: „Jede Kranzniede­rlegung in der Krypta wurde gestoppt“, sagt Uhl. „Das Bundesheer machte einen radikalen Schnitt – keine Gedenkfeie­rn mehr an diesem kontaminie­rten Ort.“

Also doch alles gut? „Nein, über den Weiheraum gilt es dringend nachzudenk­en“, sagt Uhl. Er sei im Zustand von 1965. „Hier werden nur die Opfer im Kampf um Österreich­s Freiheit gewürdigt, keine Rede von anderen Opfergrupp­en. Der Zustand ist anachronis­tisch.“

Buchtipp: Uhl/Hufschmied/Binder. „Gedächtnis­ort der Republik. Das Österreich­ische Heldendenk­mal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg. Geschichte – Kontrovers­en – Perspektiv­en“. Böhlau. 54,99 €

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