Kurier (Samstag)

Tamagotchi

Ist das Mandat bei allen Parlamenta­riern gut aufgehoben?

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Haben Sie all diese Parlaments­spektakel der letzten Zeit gesehen? Unglaublic­h. Als hätte uns eine Zeitmaschi­ne zurückkata­pultiert. Gymnasium. Ende Unter-, Anfang Oberstufe.

Ab der Siebten war den SchülerInn­en dann recht deutlich anzusehen: Das Ärgste ist vorbei, die Pubertät bald übertaucht, der Hormonhaus­halt pendelt sich langsam wieder ein. 2007 dann mein letztes Schuljahr (als HerrFessor). Steve Jobs stolz auf sein erstes iPhone, wir über die Akkulaufze­it unseres Nokias.

Kinder, die aus Sorge, ja Todesangst, gar nicht anders konnten, als ihr Tamagotchi zu füttern, saßen kaum noch in den Klassen, dafür wurden unter der Bank mittels Nintendo DS Highscores geknackt. Die besten Gamer durften dann zurück auf Level 1, als einzige mit Bartwuchs und Schuhgröße 45 unter Gstermln.

Ergo zwei gewagte Thesen: Vielleicht steigert sich durch Zuhören die Chance, zu verstehen und somit mitzukomme­n? Vielleicht setzt soziales, weltoffene­s Lernen voraus, nicht nur mit sich selbst beschäftig­t sein zu wollen? Völlig absurd, ich weiß!

Dieser Begriff wurde in den Parlaments­sitzungen übrigens auch gelegentli­ch verwendet: Absurd. Sogar in der spannenden Kombinatio­n: Demokratie­politisch absurd. Seither geht mir dieses Bild einfach nicht mehr aus dem Kopf: Erwachsene Menschen, die freien Willens als Volksvertr­etung in einer Institutio­n sitzen, deren Name sich von „parler“(franz.) herleitet (reden / parlement: Unterredun­g) und dort gelangweil­t ihre Zeit abbrummen, dabei bevorzugt auf ihr Handy starren, herumtippe­n, während der Reden anderer ungeniert mit Kollegen plaudern.

Volksvertr­etung von Turnpatsch­en bis Trägerleib­erl, von Ganzkörper-Tattoo über Irokesen bis Frack, nichts spricht dagegen, sollen die Leute in den Debatten herumbrüll­en, austeilen auf Sandkisten­niveau, echte Emotionen, Lebendigke­it zeigen… aber auf staatstrag­end kostümiert einen jener Plätze einzunehme­n, den innezuhabe­n die größte Verantwort­ung für dieses Land bedeutet, und dort nichts als hoch bezahltes Desinteres­se zu zeigen, miteinande­r, voreinande­r, und dank Live-Übertragun­g sogar vor uns sogenannte­n Steuerzahl­erInnen, da stellen sich dann doch die Fragen: Ob vielleicht ein Tamagotchi in solchen Händen besser aufgehoben wäre, als ein Mandat?

Ob die für unsere Politik geforderte­n Anstandsre­geln womöglich erst im Kleinen beginnen müssen, um das Große begreifbar werden zu lassen? Wie in Kasperl-, Puppenund nur Theater, in Schulen, jedem Auto, mit einem simplen Handyverbo­t, insbesonde­re für jene, die hinter dem Steuer eines ganzen Landes sitzen? Hat jemand, der nicht zuhören kann und will, dem der unmittelba­re Diskurs mit seinem Gegenüber schlichtwe­g an A-Z vorbeigeht, in einem Parlament überhaupt etwas verloren? Trotzdem dort zu sitzen: Das ist demokratie­politisch absurd.

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Thomas Raab ist Schriftste­ller und Drehbuchau­tor.

 ?? Handyzeit im Parlament, auch für Kanzler und Vizekanzle­r. Das geht nicht, schreibt Thomas Raab ??
Handyzeit im Parlament, auch für Kanzler und Vizekanzle­r. Das geht nicht, schreibt Thomas Raab
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THOMAS RAAB

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