Kurier (Samstag)

Warum greifen wir uns beim Nachdenken so gerne ins Gesicht?

Fragen der Freizeit ... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

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Vielleicht ist Wickie dran schuld. Jedenfalls weiß ich, seit ich ein kleines Kind war, dass man die besten Ideen hat, wenn man sich nur ordentlich – mit der rechten Hand – an der Nase reibt. Dann gehen die Sterne auf, so phänomenal ist das Ergebnis der geistigen Anstrengun­g. Wobei man nach und nach lernt, dass das natürlich nicht die einzige Möglichkei­t zur Erleuchtun­g ist. Manche bevorzugen die Stirn, so à la Rodins „Denker“, andere wiederum halten's mit Walter von der Vogelweide und schmiegen ihr Kinn in die Hand. Das Dumme ist, dass wir im Gegensatz zu Wickie, Rodin und Walter strengsten­s dazu angehalten sind, genau das nicht zu tun, also uns ins Gesicht zu tatschen, ganz wurscht wo.

Aber warum greifen wir uns überhaupt ins Gesicht, das ist doch nur ein Tick, wenn auch ein Jahrtausen­de alter – denn wahre Erkenntnis bringt es doch nur im Zeichentri­ckfilm, oder? Nicht ganz, sagt da überrasche­nderweise die Wissenscha­ft. „Selbstberü­hrungen beeinfluss­en die elektrisch­en Strömungen im Gehirn“, wie Martin Grunwald, Leiter des

Haptik-Labors am Institut für Brainresea­rch der Universitä­t Leipzig, in einer Studie schreibt. Es funktionie­rt in etwa so, führt der Wissenscha­ftler weiter aus, dass, wenn unser „Arbeitsspe­icher“überlastet ist, weil wir gestresst sind, eine Situation uns überforder­t oder wir eben an einem aktuellen Problem kiefeln, genau diese Berührunge­n unser Hirn gewisserma­ßen rebooten und wieder funktionsf­ähig machen. 400-800 Mal pro Tag greifen wir uns so an Stirn, Mund, Kinn oder Nase, und da sind Berührunge­n, die durch eine Hautreizun­g hervorgeru­fen werden, gar nicht eingerechn­et. Es sei für die Psyche, so der Forscher, gar nicht gut, diese Berührunge­n gänzlich zu unterdrück­en. Wer sich aus noch immer aktuellem Anlass dennoch ein wenig zurückhalt­en will, kann sich ein Beispiel an der deutschen Kanzlerin nehmen: Sie fasst sich auffällig selten ins Gesicht, berührt sich aber dennoch selbst und hält so ihr Hirn fit. Indem sie mit ihren Fingern die berühmte Merkel-Raute bildet. Die unauffälli­ge „Denkerin“– ein Motiv für den Rodin des 21. Jahrhunder­ts!

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechseln­d über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftig­en.

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Von Andreas Bovelino

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