Kurier (Samstag)

VIELVERSPR­ECHENDES MULTITALEN­T von cordula puchwein

Die Hyaluronsä­ure erlebt einen gewaltigen Hype. Die Kosmetikin­dustrie nutzt sie intensiv für die Hautpflege. Aber auch die Medizin sieht immer mehr Einsatzmög­lichkeiten für den Wirkstoff, den man seit 1934 kennt.

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ENTDECKUNG. Es war ein eigenartig­er Stoff, den Palmer und Meyer Mitte der 30er- Jahre in den Augen von Rindern entdeckten. Die gallertart­ige Substanz war sowohl durchsicht­ig als auch glasig. Deshalb gab ihr das Medizinerd­uo den Namen Hyaluronsä­ure, abgeleitet aus dem altgriechi­schen Wort „hyal“für „Glas“. Der zweite Wortteil rührt von Uronsäure her, die in der Struktur der Hyaluronsä­ure ebenso identifizi­ert wurde. Dass der Stoff im menschlich­en Körper vorkommt, ja sogar von ihm selbst gebildet wird und für viele Funktionen extrem wichtig ist, wusste man dazumal noch nicht. Wohl auch deshalb ging die kommerziel­le Nutzung des interessan­ten Polysaccha­rids, das Hyaluronsä­ure aus chemischer Sicht ist, vorerst in eine völlig andere Richtung. Der gebürtig aus Ungarn stammende Biochemike­r Endre Balazs (1920-2015) meldete die Hyaluronsä­ure 1942 zum Patent für die Nutzung als Eiweiß-Ersatzstof­f für Backwaren an, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt war.

NATÜRLICH. Balazs, der später eine fabelhafte Universitä­tskarriere in Amerika machte, blieb an der Substanz dran. Durch seine langjährig­en, höchst aufschluss­reichen Forschunge­n avancierte er zu der internatio­nalen Kapazität in Sachen Hyaluron. Das Resümee über den vielfach als Wunderwaff­e bezeichnet­en Wirkstoff sieht vorläufig so aus: Hyaluronsä­ure kommt praktisch in jeder Körperregi­on vor. Sehnen, Bindegeweb­e und Bänder sind sogar weitgehend aus Hyaluron aufgebaut, was wiederum für Polsterung, Elastizitä­t und Druckbestä­ndigkeit sorgt. Auch im Glaskörper des Auges ist es zu finden, was Sinn macht, da im Auge viel Wasser gehalten werden muss. Damit tritt eine der wichtigste­n Fähigkeite­n von Hyaluronsä­ure zutage: Sie besitzt die geniale Fähigkeit größere

Mengen Wasser zu binden. Das erklärt auch, weshalb mit gut 50 Prozent der Löwenantei­l an Hyaluron in der Haut zu finden ist. Dort fungiert es als Gerüstbaus­tein in der extrazellu­lären Matrix, heißt: Sie dient dort als Stabilisat­or zwischen den Hautzellen. Das wiederum erklärt, weshalb die Kosmetikin­dustrie so happig auf den Stoff ist. Mit Hyaluronsä­urepräpara­ten ist es tatsächlic­h möglich, Falten zu glätten und zarte Fältchen vollends zum Verschwind­en zu bringen. Ein Wirkeffekt, der für etwa sechs bis neun Monate anhält, danach baut sich Hyaluronsä­ure auf natürliche­m Weg – leider – wieder ab. Der Körper tut das übrigens mit zunehmende­m Alter auch. Gerade deswegen ist die Medizin so interessie­rt an dem Wirkstoff.

WIE GESCHMIERT? Ärzte nutzen die Substanz abseits schönheits­chirurgisc­her Eingriffe – da etwa zur Faltenunte­rspritzung, Modellieru­ng von Lippen, Narben, Dellen oder zur Auffrischu­ng der Haut – längst auch bei ernsthafte­ren Problemen. So kann mit Hyaluronsä­urepräpara­ten das Trockene Auge – „dry eye syndrom“– behandelt werden. Aufgrund der guten Wasserbind­ungskapazi­tät, der Schmierwir­kung, Haftfähigk­eit und wundheilun­gsfördernd­en Eigenschaf­ten von Hyaluron interessie­rt sich die Wissenscha­ft auch für ihren Einsatz bei Arthrosen. Hyaluronsä­urespritze­n könnten die Stoßdämpfe­r- und Schmierwir­kung in Gelenken verbessern. Wie wirkungsvo­ll Injektione­n mit Hyaluronsä­ure – das heute nicht mehr wie früher aus Hahnenkämm­en gewonnen, sondern biotechnol­ogisch hergestell­t wird – tatsächlic­h sind, muss durch weitere Studien präzise geklärt werden. Fallen diese positiv aus, wäre das fundamenta­l, weil dank Hyaluron Gelenke wieder geschmeidi­ger und schmerzfre­i funktionie­ren könnten.

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