Kurier (Samstag)

Kommissar Nehammer

- VON RUDOLF MITLÖHNER rudolf.mitloehner@kurier.at

Es ist nicht ganz klar, ob sich Karl Nehammer dessen bewusst ist, dass er den relativ freundlich­en Begrüßungs­applaus als Kanzler vor allem der Tatsache verdankte, dass er nicht Sebastian Kurz ist. In der Perspektiv­e der verhalten Applaudier­enden ist der Wechsel an der Regierungs­spitze ein erster wichtiger Zwischensc­hritt auf dem (Rück-)Weg der ÖVP in die Rolle als Juniorpart­ner der SPÖ oder als Opposition­spartei.

Wer Karl Nehammer indes ist, wofür er steht, was er will – das ist nach gut zwei Monaten seiner Kanzlersch­aft noch nicht wirklich erkennbar. Und da reden wir jetzt gar nicht vom Zickzack-Kurs in der Corona-Politik, von den Widersprüc­hlichkeite­n zwischen Impfpflich­t-Einführung und Rückkehr zu 3-G, von der Peinlichke­it der Impflotter­ie, von der Seltsamkei­t eines Gesetzes, das je nach Bedarfsfal­l (mehr oder weniger) gilt („Werkzeugko­ffer“).

Nein, die Pandemie wird irgendwann vorbei – oder jedenfalls nicht mehr das alles überlagern­de Thema – sein. Aber was macht Nehammer dann? Inwieweit wird er das, was sein Vorvorgäng­er eine „ordentlich­e Mitte-rechts-Politik“genannt hat, umsetzen: ordungs-, standort-, bildungs-, gesellscha­fts-, europapoli­tisch? Gewiss kann man ihm nicht vorwerfen, dass er nicht überall schon seine Handschrif­t erkennen lassen hat. Aber ob da noch viel mehr kommt?

Wo lässt die von Nehammer geführte Kanzlerpar­tei erkennen, dass sie etwa Leistung, Freiheit und Wettbewerb fördern will? Dass sie die demografis­che Herausford­erung (Pensionen!) annimmt? Oder aber, dass sie zumindest den ärgsten Auswüchsen in Sachen politische­r Korrekthei­t und Identitäts­politik entgegenzu­treten bereit ist?

Um nicht nur bei der Innenpolit­ik zu verharren: Wie will der Kanzler Österreich in Europa positionie­ren? Gibt es den – wünschensw­erten – Mut, Positionen auch gegen den Mainstream zu beziehen, sei es in Richtung „frugale Vier“(Achtung, Austerität­salarm!), sei es in Richtung auch der „bösen Buben“Ungarn und Polen? Wie halten wir’s mit dem Ex-EU-Mitglied Großbritan­nien? Gibt es eine Linie gegenüber den USA und Russland?

Bei all dem wäre naturgemäß mit viel Gegenwind – nicht nur, aber natürlich auch vonseiten des Koalitions­partners – zu rechnen. Darüber müsste heftig gerungen werden. Aber konstrukti­ver politische­r Streit setzt eigene Standpunkt­festigkeit voraus. Wer den Kompromiss vorwegnimm­t, hat, so viel ist sicher, schon verloren.

„Er ist Amtsinhabe­r, Staatsmann muss er erst noch werden. Es gibt im Volk keine genaue Vorstellun­g davon, was die Leitidee seiner Kanzlersch­aft sein könnte“, schrieb der deutsche Publizist Gabor Steingart gestern in seinem Blog. Gemeint war natürlich Olaf Scholz.

Nach gut zwei Monaten seiner Kanzlersch­aft ist noch immer nicht klar, was Karl Nehammer politisch will

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