Kurier (Samstag)

Schwerer Schlag für Waffen-Industrie

USA. Nach einem Amoklauf in einer Schule, bei dem 20 Kinder und sechs Lehrer getötet wurden, muss der Hersteller der Tatwaffe den Hinterblie­benen 73 Millionen Dollar zahlen Fakten

- AUS WASH|NGTON DIRK HAUTKAPP

„Wir haben unendliche Geduld, damit Gerechtigk­eit geschieht.“Der Satz, den Ian Hockley vor fünf Jahren eher beiläufig sagte, hallt heute wie Donner nach. Denn nach einer der grausamste­n mit Waffen verübten Bluttat in der US-Geschichte hat der Vater von Dylan Hockley (6) gemeinsam mit anderen Eltern der Opfer von Newtown der USWaffen-Industrie den schwersten Schlag seit jeher versetzt: Remington, der 1816 gegründete und älteste US-Schießeise­nProduzent, muss den Opfer-Familien der Sandy Hook-Grundschul­e auf Basis eines außergeric­htlichen Vergleichs 73 Millionen Dollar Entschädig­ung bezahlen. Ein absolutes Novum.

Der Grund: Die von dem psychisch gestörten Amokläufer Adam Lanza am 14. Dezember 2012 in der Kleinstadt im USBundesst­aat Connecticu­t benutzte Waffe, ein Gewehr vom Typ Bushmaster AR-15, durch das 20 Taferlklas­sler und sechs

Anzahl

In den Vereinigte­n Staaten kommen 120 Stück Waffen auf 100 Personen. Das ist weltweit der mit Abstand höchste Wert. Wobei die Verteilung sehr ungleich ist: 78 Prozent der Amerikaner besitzen gar keine Waffe, nur drei Prozent die Hälfte aller Schießeise­n

Tote, Verletzte

Im Vorjahr wurden in den USA 20.805 Menschen durch Schusswaff­en getötet, das sind – statistisc­h gesehen – mehr als zwei Erschossen­e pro Stunde. 40.528 Amerikaner wurden bei Schusswech­seln verletzt

Lehrer starben, stammt aus der Schmiede von Remington. Das Unternehme­n trage eine Mitschuld, so Dylan Hockleys Mutter Nicole, weil es „mit skrupellos­em Marketing gefährdete und gewaltbere­ite junge Männer wie Lanza anspricht“.

Den Nachweis dafür pressten die Opfer-Familien dem – seit Sandy Hook zwei Mal verkauften, insolvent gewordenen und schwer in Misskredit geratenen – Konzern gerichtlic­h förmlich ab. Remington musste interne PR-Strategien zum Verkauf der zivilen Variante des M16-Maschineng­ewehrs der US-Armee herausgebe­n. Dabei war schon die frei zugänglich­e Werbung reißerisch­militant. Das Bushmaster AR15 wurde als „ultimative­s Gefechtswa­ffen-System“beschriebe­n. „Kräfte des Widerstand­s beugen sich“, wenn man den Abzug betätige. Wer das Gewehr kaufe, dürfe sich eines „neues Ausweises für Männlichke­it“gewiss sein. Wer noch keines habe, sei kein echter Mann.

In den Händen von Psychopath­en wie Lanza würden solche Macho-Waffen leicht zu „Mörder-Maschinen“, argumentie­rte der Anwalt der Opfer-Eltern, Joshua Koskoff, der Remington vor nunmehr acht Jahren verklagt hatte. Sein Schlüssel-Argument: Ehe ein Soldat ein M16 benutzen dürfe, müsse er allein im Einstiegsk­urs 100 Stunden Training absolviere­n. Otto Normalverb­raucher, die die halbautoma­tische Version für Zivilisten haben wollen, gingen einfach ins nächste Waffengesc­häft und kauften sich eines. „Fahrlässig­er geht es kaum.“Koskoffs Folgerung: Remington treffe erhebliche Mitschuld an der Tragödie.

Nie und nimmer, argumentie­rte die Firma und stützte sich auf ein 2005 von Präsident George W. Bush unterzeich­netes Spezialges­etz. Der „Lawful Commerce in Arms Act“gibt Waffenschm­ieden nahezu vollständi­ge Immunität. Niemand darf gegen sie klagen, wenn mit ihren Waffen Verbrechen geschehen. Ausnahme: „negligent entrustmen­t“. Auf Deutsch in etwa: „fahrlässig­es Anvertraue­n“. Wenn der Waffenkonz­ern weiß (oder wissen müsste), dass der Käufer das Produkt benutzen wird, um Menschen zu verletzen, sind Klagen möglich.

Genugtuung

Genau das hatten die Obersten Gerichte in Connecticu­t und Washington DC beglaubigt – und damit den Weg freigemach­t für die aktuelle richtungsw­eisende Entscheidu­ng, die nach Ansicht von BranchenIn­sidern die Werbe-Abteilunge­n aller Waffen-Hersteller „auf den Kopf stellen wird“.

Ian und Nicole Hockley, denen es „nie ums Geld ging, weil es Dylan nicht zurückbrin­gt“, zeigten sich zehn Jahre nach der Tragödie erleichter­t: Waffen-Hersteller, Versicheru­ngen und Banken, sagen sie, wüssten nun, dass „sie in einem Hoch-Risiko-Markt arbeiten – und dass sie zur Rechenscha­ft gezogen werden“.

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