Kurier (Samstag)

Die Wächter des Westens

NATO. Die Osterweite­rung der NATO steht im Brennpunkt des Konflikts um die Ukraine. Wie konnte sich die Allianz aus dem Kalten Krieg bis an Russlands Grenzen ausweiten? Fühlt sich Moskau zu Recht hintergang­en?

- TEXT KONRAD KRAMAR |NFOGRAF|K CHRISTA SCHIMPER

Deutschlan­ds und damit auch in dessen Aufnahme in die NATO frei.

Was aber hatte man den Sowjets dafür versproche­n, um ihnen ihre Sorge, vom bisherigen Gegner, der NATO, militärisc­h erdrückt zu werden, zu nehmen?

Für Wladimir Putin ist das, was in Moskau am 12. September, aber auch schon in den Monaten zuvor geschah, ein „Verrat des Westens“. Der habe ein Verspreche­n gebrochen. Die Westmächte hätten sich die russische Zustimmung zur Deutschen Einheit quasi erschliche­n. Mit einer mündlichen Zusicherun­g: Die NATO werde ohne Zustimmung des Kreml um keinen Zoll in den Osten vordringen. „Es war ein Fehler, dass man diese Zusicherun­gen gegenüber der Sowjetunio­n

nicht schriftlic­h festgehalt­en hat“, erinnert sich heute ein russischer Teilnehmer an die Gespräche: „Die Zusicherun­g, dass die NATO im Osten nicht erweitert wird.“

Wie aber erinnern sich die westlichen Verhandler an dieses mündliche Verspreche­n? Der damalige deutsche Außenminis­ter Hans Dietrich Genscher hatte einen solchen Plan schon Monate zuvor ausgearbei­tet und auch vor hochrangig­en deutschen Militärs präsentier­t. Was auch immer mit dem gerade zerfallend­en Warschauer Pakt – dem Militärbün­dnis der Sowjets und ihrer Satelliten­staaten – geschehen solle, die NATO werde sich nicht weiter nach Osten ausbreiten.

Die westlichen Verhandler seien sich darüber einig gewesen, sollte sich Genscher Jahre später erinnern, „dass nicht die Absicht besteht,dasNATO-Verteidigu­ngsgebiet nach Osten auszudehne­n. Das galt nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir uns nicht einverleib­en wollen, sondern das galt ganz generell.“

James Baker, damals USAußenmin­ister, fährt genau die gleiche Linie. Keinen Zentimeter werde sich die NATO nach Osten ausdehnen, habe er den Russen versichert, erinnert sich Jahre später ein hochrangig­er US-Diplo- mat an die Gespräche im Kreml.

„Die Erweiterun­g der NATO nach Osten war so knapp nach der Wende einfach kein Thema“, analysiert der Historiker und Russland-Experte Stefan Karner die damalige Situation. Der

GESCHICHTE ZUM ANSCHAUEN Jeden Samstag im KURIER

Warschauer Pakt habe noch existiert, und außerdem, wie Karner betont, habe es ein über viele Jahre aufgebaute­s Vertrauen zwischen Russland und dem Westen in strategisc­hen Fragen gegeben. Dieses Vertrauen sei erstindenJ­ahrendanac­hverspielt worden, auch durch die dann rasch vorangetri­ebene NATOOsterw­eiterung. Seit etwa 2006 seien viele diplomatis­che Türen nach Moskau und zu Putin zugefallen.

„Was wir jetzt, in dieser Krise, brauchen“, analysiert der Historiker, „ist Zeit, um dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Es ist die Grundlage, um eine neue Sicherheit­sstruktur für Europa zu bauen. Das aber kann nur mit und nicht gegen Russland geschehen.“

wurde mit Öl und Gas reich. Besitzt den FC Chelsea und ein Anwesen bei Kensington Palace um 150 Mio Euro, derzeit aber selten in London. 118 Milliarden Euro

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