Die Nöte der Reichen von Londongrad Sanktionen für Oligarchen.
Boris Johnsons Regierung droht Wladimir Putin und seinen Freunden mit finanziellen Schmerzen. Jetzt schon Aus für „Goldene Visa“für Investoren
Der Eaton Square im exklusiven Londoner Stadtteil Belgravia galt vor einigen Jahren als teuerste Adresse Englands. Kosten einer Luxusvilla: rund 20 Millionen Euro. Käufer blieben dank Briefkastenfirmen oft anonym. Das offene Geheimnis: Viele waren russische Oligarchen, darunter Andrej Gontscharenko vom Gasriesen Gazprom. Entsprechend der vielsagende Spitznamen der Straße: Red Square, Roter Platz.
Das passt zu einer Metropole, in der der russische Krösus Roman Abramowitsch den Fußballklub Chelsea besitzt und andere Wohlhabende aus der Ex-Sowjetunion gerne Museen und Unis mit Spenden überhäufen. „Londongrad“oder „Moskau an der Themse“wird die Hauptstadt deshalb auch gerne genannt.
Der Einfluss der Oligarchen wird im Zuge der Ukraine-Krise wieder heftig diskutiert, und Boris Johnsons Regierung droht Wladimir Putin und seinen Freunden mit finanziellen Schmerzen.
Kleptokraten-Spielplatz
Schon lange kritisieren Experten, dass laxe britische Regeln bei Firmengründungen und Eigentumserwerb schmutziges Geld einfließen lassen. Mindestens 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Mrd. Euro) haben Russen, denen Kreml-Nähe oder Korruption nachgesagt wird, seit den 1990ern in Londoner Immobilien geparkt, schätzt Transparency International.
Kein Wunder, dass die Stadt als „Spielplatz der Kleptokraten“gilt. Ein Parlamentsbericht aus 2020 nannte sie einen „Waschsalon“für illegale Finanzmittel, weil „Regierungen Oligarchen und ihr Geld mit offenen Armen“aufnähmen. Von ihrer engen Beziehung zum Establishment des Landes profitiere eine „Wachstumsbranche der Türöffner“aus Anwälten, Immobilienund Finanz-Beratern.
„Es ist ein Paradies für alle möglichen krummen Sachen“, sagt die Soziologin Elisabeth Schimpfössl dem KURIER. In dem Buch „Rich Russians: From Oligarchs to Bourgeoisie“beschreibt sie, wie sich reiche Russen als Mitglieder der kulturellen Elite neu erfinden. „London ist leicht erreichbar von Moskau, und es dauert nur ein oder zwei Tage, um ein neues Business zu registrieren“, sagt sie. „Im Vergleich zu Deutschland ist die Rechtslage schmuddelig“, das Steuersystem sei vorteilhaft.
Johnsons Regierung hat nun die Vergabe „Goldener Visa“eingestellt, um den „korrupten Eliten“nicht mehr den roten Teppich auszurollen. Sie gewährte Betuchten, darunter mehr als 2.500 Russen, die mindestens 2,4 Millionen Euro im Land investierten, samt Familien das Aufenthaltsrecht. Binnen fünf Jahren wurde dieses unbefristet; mit zwölf Millionen Euro nach zwei Jahren.
Außenministerin Liz Truss droht Russland im Fall einer Ukraine-Invasion zudem mit „schärfsten Sanktionen“. Britische Konten könnten eingefroren werden, um Leute und Firmen mit „wirtschaftlicher oder strategischer Bedeutung“für den Kreml zu bestrafen.
Freunde in der Politik
Die oppositionelle Labour Partei fordert auch ohne Invasion „eine kohärente Politik“, inklusive strikter Maßnahmen gegen Geldwäsche. Wie viele Kritiker glaubt sie nicht, dass die Regierung bereits ansässige Oligarchen ernsthaft herausfordern werde, weil das die britische Wirtschaft treffen würde.
Johnsons Konservative sind außerdem für Parteispenden von und guten Beziehungen zu einflussreichen Russen bekannt. Der Premier selbst berief einen Freund, den russisch-britischen Medienmogul Jewgenij Lebedew, Sohn eines Ex-KGB-Agenten, Ende 2020 ins Oberhaus.
Der in der Ukraine geborene Aleksandr Temerko, seit 2011 Brite, sagt, sein „Freund“Johnson müsse zwischen Demokratie oder russischem Geld wählen. Aber er erwartet wenig: „Er ist stark bei Rhetorik, aber sehr, sehr schlecht in der Umsetzung.“
Schimpfössl betont, dass auch nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Skripal 2018 trotz vieler Versprechen „gar nichts“passiert sei: „Viele hier sind an der russischen Präsenz interessiert, und reiche Briten sind mit reichen Russen verkuppelt.“