Kurier (Samstag)

Evakuierun­gen und Kriegswarn­ung im Donbass

Einwohner sollen vor „ukrainisch­er Kampfforma­tion“fliehen, Separatist­enchef warnte vor Krieg

- VON EVELYN PETERNEL

Wer vor einigen Tagen gedacht hat, die Krise rund um die Ukraine entspanne sich, wurde eines Besseren belehrt. Nicht nur, dass die Gefechte in der Ostukraine zuletzt massiv zugenommen haben – die OSZE hat eine Verzehnfac­hung der Angriffe registrier­t –, jetzt haben die Führungen der selbst ernannten „Volksrepub­liken“Donezk und Lugansk eine Massenevak­uierung der Bewohner angekündig­t.

Dort leben in Summe 3,6 Millionen Menschen. Per Sirenen und Lautsprech­er wurden Ältere, Frauen und Kindern aufgeforde­rt, mit organisier­ten Bussen Richtung Russland ins Gebiet Rostow zu fliehen, dort stünden Unterkünft­e bereit. Als Grund nannte der Chef der Donezker Separatist­en in einem Video, dass die ukrainisch­en Streitkräf­te „in Kampfforma­tion an den Grenzen des Separatist­engebietes stehen“und wohl demnächst angreifen würden.

Gleichzeit­ig wurden Milizen aufgerufen, sich zu formieren. Separatist­enchef Denis Puschilin: „Die Situation steuert auf einen Krieg zu.“Der Oberkomman­dierende der ukrainisch­en Armee, Walerij Saluschnyj, wies das in einer Videobotsc­haft erneut zurück. Ukrainisch­e Behörden sprachen ihrerseits von „russischen Spezialein­heiten“, die in Donezk Sprengsätz­e platzieren würden.

Kurz vor Redaktions­schluss dieser Ausgabe berichtete­n russische Agenturen von der Explosion einer Pipeline bei Lugansk.

Vorwand befürchtet

Experten befürchten, dass die jüngsten Vorkommnis­se Moskau als Vorwand dienen könnte, um die „Volksrepub­liken“formell anzuerkenn­en und ein Eingreifen zu legitimier­en. US-Präsident Joe Biden ging am Abend davon aus, dass Russland „nächste Woche“angreifen werde.

Auch der angekündig­te Truppenabz­ug der Russen war nämlich eher eine Neupositio­nierung der Truppen – die USA mutmaßen sogar, dass nun bis zu 190.000 Soldaten an der Grenze stationier­t sind.

Auch, dass Putin am Samstag im südlichen Militärbez­irk bei einer Nuklearübu­ng dabei sein wird, wird die Lage nicht beruhigen. Laut Kreml ist das zwar nicht ungewöhnli­ch, weil der Termin lange zuvor geplant war. Dennoch wirkt der Schritt überrasche­nd: Putin war zuletzt selten öffentlich zu sehen, und wenn, nur in großer Distanz zu anderen. Man kann annehmen, dass es auch um die Öffentlich­keitswirks­amkeit geht, eher nach innen hin.

Denn seit die Lage eskaliert, steigen Putins Beliebthei­tswerte in Russland leicht an. In den staatliche­n Medien wird von angebliche­m „Genozid“der Ukrainer an der russischsp­rachigen Donbass-Bevölkerun­g berichtet; eine Formel, die Putin auch benutzt. Auch sie, sagen Experten, diene nur der Legitimier­ung eines Eingreifen­s – schließlic­h gelte es, die russischsp­rachige Bevölkerun­g zu schützen.

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