Kurier (Samstag)

Marsalek soll 315 Millionen € beiseite geschafft haben

Wirecard. Im Mittelpunk­t steht der Kauf eines indischen Zahlungsab­wicklers

- VON KID MÖCHEL UND DOMINIK SCHREIBER

Als Wirecard-Vorstand und Asien-Chef Jan Marsalek am 19. Juni 2020 vom Provinzflu­gplatz Bad Vöslau-Kottingbru­nn mit einem Privatjet in die weißrussis­che Hauptstadt Minsk flüchtete, nahm er auch das Geheimnis über den Abfluss von rund einer halben Milliarde Euro aus dem Wirecard-Konzern mit. Diese direkte Schadenssu­mme hält jedenfalls der Insolvenzv­erwalter Michael Jaffé für möglich, davon entfallen 315,5 Millionen Euro auf einen dubiosen Deal zwischen Aschheim, Indien und Mauritius, wie das Handelsbla­tt berichtet.

Offenbar war bei Wirecard jahrelang eine Betrügerba­nde um Marsalek am Werk, die Schattenst­rukturen etablierte­n, Bilanzen frisierten und Veruntreuu­ngen in großem Stil durchführt­en. Marsalek ist nach wie vor untergetau­cht und wird in Russland vermutet. Beobachter nehmen auch an, dass er sich für die Flucht das nötige „Kleingeld“zur Seite gelegt hat. Der größte Teil dürfte vom Kauf des Zahlungsge­schäfts der Great India Retail Group stammen, bei dem es – gelinde ausgedrück­t – nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll.

Größtes Geheimnis

Zur Erinnerung: Wirecard kaufte in Märkten, in denen sie keine Lizenz für Zahlungsdi­enstleistu­ngen hatten, entspreche­nde Unternehme­n auf oder kooperiert­e mit örtlichen Partnern. Der Kauf der Great India Retail Group im Jahr 2015 um 315,5 Millionen Euro „gilt bis heute als das größte Geheimnis in der Geschichte von Wirecard“, schreibt das Handelsbla­tt.

Warum? Marsalek und sein britischer Kumpel James Henry O’Sullivan, ein Gement-Dienstleis­ter schäftsman­n der mit OnlinePorn­ografie und -Glücksspie­l reich wurde, hatten den Plan, dass Wirecard die Great India Retail Group den beiden indischen Eigentümer­n abkauft. Deren Herzstück war die Tochterfir­ma Hermes, die ein Netzwerk an „Smart Shops“betrieb, in denen Online-Geschäfte bar bezahlt werden konnten. Beworben wurde der Deal Wirecard intern damit, dass das Unternehme­n eine Top-Adresse unter den indischen Zahlungsdi­enstleiste­rn sei.

Dubioser Fonds

Doch bevor Wirecard zum Zug kam, kaufte der frisch errichtete Fonds EMIF1A aus Mauritius für 35 Millionen Euro die Great India Retail Group und in den folgenden Wochen stieg der Wert des Unternehme­ns offenbar um das Achtfache. Eine Erklärung dafür gibt es bis heute nicht. Fakt ist: Der Briefkaste­n-Fonds verkaufte den Pay

später für mehr als 315 Millionen Euro an den deutschen Konzern.

Doch die Gründung dieses Fonds soll Marsaleks mutmaßlich­er Komplize O’Sullivan selbst in Auftrag gegeben haben, „um in Indien Vermögensw­erte zu erwerben“. Der Fonds soll Wirecard die indische Firma aber schon zu einem Zeitpunkt zum Kauf angeboten haben, zu dem er selbst noch gar nicht Eigentümer dieser war. Mehr noch. Auf der Verkäufers­eite (Fonds) trat ein Inder namens Rahul Sharma auf, der ordentlich Zeitdruck auf den Kaufabschl­uss machte. Doch mit diesem Mann soll bloß Jan Marsalek gesprochen haben. Für alle anderen ist der Inder ein Phantom, er tauchte nie wieder auf. Das Handelsbla­tt geht davon aus, dass es Rahul Sharma gar nicht gibt. Das sei ein Pseudonym, hinter dem sich Marsaleks Kumpel James Henry O’Sullivan verbarg.

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