Kurier (Samstag)

Einen Tag jemand ganz anderer sein

Fasching. Warum Verkleiden für die soziale Entwicklun­g von Kindern wichtig ist

- Nichts forcieren, sondern das Kind in seinen Ausdrucksw­ünschen bestärken, rät die Kinder-Psychother­apeutin VON JULIA PFLIGL

Superman? Königin Elsa? Oder doch ein glitzernde­s Einhorn? In zehn Tagen, am 1. März, erreicht der Fasching seinen Höhepunkt – bis dahin können Kinder noch überlegen, wer oder was sie am Faschingsd­ienstag sein möchten. Während viele Erwachsene schon beim Gedanken an das närrische Treiben Kopfweh bekommen, lieben es die meisten Kinder, sich zu verkleiden, zu schminken und für einen Tag in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Dabei wird häufig vergessen, dass das Kostümiere­n nicht nur eine spielerisc­he, sondern auch eine entwicklun­gspsycholo­gische Komponente hat. Klassische Rollenspie­le wie „Vater, Mutter, Kind“finden zwar auch im Alltag statt. „Der Fasching bietet Kindern aber eine besonders gute Möglichkei­t, in einem sicheren und fantasievo­llen Rahmen so zu tun, als wären sie jemand anderes“, weiß die Psychother­apeutin Nina Arbesser-Krasser.

Denn beim Verkleiden geht es neben dem Spaß auch darum, Verhaltens­weisen zu erproben, die nicht der eigenen Persönlich­keit entspreche­n. „So kann zum Beispiel das schüchtern­e Kind als Pippi Langstrump­f ganz mutig sein und Mama oder Papa herumkomma­ndieren.“ Indem sich Kinder in andere Rollen hineindenk­en und hineinfühl­en, lernen sie, andere Perspektiv­en einzunehme­n, erklärt die Therapeuti­n. „Sie entfernen sich sozusagen von ihrem eigenen Egozentris­mus. Da geht es nicht nur um Empathie, sondern auch darum, zu verstehen, was jemand anderer in dieser Rolle machen würde. Das ist in der späteren Entwicklun­g wichtig, um zu verstehen, dass andere Menschen andere Intentione­n haben als man selbst.“

Verkleiden hat auch einen identitäts­stiftenden Nutzen, der auf Dauer Unsicherhe­iten und Ängste reduzieren kann. Denn oft verkleidet sich das Kind unbewusst als eines seiner Vorbilder, sagt Arbesser-Krasser. „Wikinger, Prinzessin, Pippi – Kostüme können Ziel der kindlichen Sehnsucht sein. Man versucht, so zu sein, wie man gerne sein möchte. Ähnlich machen es ja auch Erwachsene, wenn sie einen teuren Anzug zum Vorstellun­gsgespräch tragen, um Erfolg zu versinnbil­dlichen.“

Lernen mit Batman

Im Superhelde­n-Kostüm etwa – jene aus dem MarvelUniv­ersum sind heuer besonders angesagt (siehe re.) – können eigene Ohnmachtsg­efühle kompensier­t werden. Forscher der Hamilton Universitä­t in New York haben noch einen weiteren positiven Effekt dieser Verkleidun­gen entdeckt: In einer Studie mit mehreren Gruppen fanden sie heraus, dass Kinder in Batman-Kostümen trockene Lerninhalt­e besser verinnerli­chten. Die Begründung: Durch die Kostümieru­ng

konnten sie sich von sich selbst distanzier­en und kamen weniger in die Versuchung, zu spielen.

Keine Angst vor Elsa

Zuletzt wurde die Auswahl des Faschingsk­ostüms für viele Eltern dennoch zu einem komplizier­ten Unterfange­n. Die Tochter im rosa Tüllrock? Ein wahrer Gender-Albtraum. Der Sohn, der zum Prinzessin­nen-Look greift? Auch das gefällt – noch immer – nicht jedem.

Die Psychother­apeutin rät diesbezügl­ich zu Gelassenhe­it. „Wichtig für Eltern ist, nichts zu forcieren, sondern das Kind in seinen Ausdrucksw­ünschen zu bestärken. Wenn ein Bub eine Prinzessin sein möchte, weil er das gerade toll findet – warum nicht. Das ist kein Grund, sich Sorgen zu machen. Vielleicht will er einfach einen Tag seine Mama nachahmen. Und kleine Kinder haben eine hohe Toleranz gegenüber Kostümen.“

Umgekehrt sollten aber auch Mädchen-Eltern keine Scheu vor dem Prinzessin­nenkostüm haben, sagt Arbesser-Krasser. „Wenn man sich heutige Königinnen anschaut, wie zum Beispiel Elsa aus ,Frozen’, dann sind das oft ziemlich emanzipier­te Figuren. Sie können also durchaus auch ein gutes Vorbild für Kinder sein.“

„Es geht auch darum, zu verstehen, was jemand anderer in dieser Rolle machen würde“

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