„Mit dem Digitalen hat Pop etwas verloren“
Musik. Vom Phonographen über die Tonbandkassette bis zum Streaming am PC oder Smartphone: Der Autor Tobi Müller zeichnet die Popgeschichte anhand ihrer Gerätschaften nach
In seinem Buch „Play Pause Repeat. Was Pop und seine Geräte über uns erzählen“spürt der in Berlin lebende Autor und Journalist Tobi Müller dem Wechselspiel zwischen Technologie und Musik nach. Ausgehend von Edisons Phongraphen schreibt er eine Geschichte der Popmusik und ihrer Geräte, die er auch mit persönlichen Erfahrungen ausschmückt. Der KURIER hat mit Müller über Kassettenrekorder, Pop als gesellschaftliches Experimentierfeld und den Sound des Streaming-Zeitalters gesprochen.
KURIER: Sie untersuchen in Ihrem Buch das Verhältnis von Musik, Technologie und Körpern. Welches Gerät hat Sie am stärksten geprägt? Tobi Müller: Bei mir war das die Tonbandkassette. Das Tape ist auch pophistorisch wichtig. Ursprünglich war es Kriegstechnologie. 1963 wurde dann die Tonbandkassette vorgestellt, mit der viele von uns aufgewachsen sind und die sehr viel ermöglicht hat. Nicht zuletzt durch die Aufnahme von Schallplatten oder aus dem Radio. Jeder wurde ein bisschen sein eigener DJ. Die Playlist, die wir heute von den Streamingdiensten kennen, wurde da bereits erfunden.
Pop, schreiben Sie, hat immer auch gesellschaftliche Veränderungen vorweggenommen. Was hat sich durch die Kassette angekündigt?
Zum Beispiel die Personalisierung oder Individualisierung. Man fängt selber an, etwas aufzunehmen mit dem Kassettenrekorder. Es hatte auch eine demokratisierende Tendenz. Es ist nicht alles progressiv in der Popmusik, aber es gab eben Bewegungen oder Einübungen in Verhaltensweisen, wo Technik uns geholfen hat, uns demokratischer zu bewegen, durchaus auch zum Beat.
Gilt das auch heute noch?
Mit dem Digitalen hat Pop etwas verloren. Ich meine das nicht kulturpessimistisch oder nostalgisch. Mit der Erfindung der MP3, dem Herunterrechnen eines digitalen Files, um es über das Internet verschicken zu können, fielen die Bilder weg. Es waren reine Soundfiles. Wenn die Bilder und die Fakten rundherum fehlen, bekommt Musik eine ganz andere Funktion. Als es vor 20 Jahren mit MP3 losging, haben wir die letzten Momente gesehen, wo soziale Bewegungen eine eigene Musik gehabt haben.
Was ist dann passiert?
Dann kamen die Tauschbörsen.
Natürlich gibt es einzelne Genres, die man direkt ans Streaming binden kann. Das wird „Streambait Pop“oder „Spotifycore“genannt. Früher hätte man dazu „Muzak“gesagt, also Hintergrundmusik für Geschäfte, die die einzige Funktion hat, Leute nicht zu vertreiben. Darum geht es auch bei Spotify, Musik in die Playlist zu holen, die möglichst angenehm erscheint.
Streaming hat nicht verändert?
Streaming hat die Musik nicht ästhetisch im Inneren verändert, aber es hat das Verhältnis verändert, das wir zur Musik haben. Man hört 2.000 verschiedene Bands, die Unterschiede sind marginal. Es ist mehr vom Gleichen. Das halte ich für den viel größeren Einschnitt.
die
Musik
Musikalische Innovationen gibt es kaum noch. Ist alles nur noch retro?
Ich seh das nicht ganz so pessimistisch. Ich verstehe Popmusik als einen größeren Zusammenhang. Ich sehe schon neue Formen, wie man mit Musik interagiert. Die Interessanten davon finden vor Ort statt. Es gibt sehr viel kleinere lokale Szenen als früher.
Ist das die Zukunft?
Lokale Kulturen und LiveKulturen werden eine viel größere Rolle spielen. Aber auch der Mainstream wird nicht verschwinden. Er wird nur dünner und extremer.
„Wenn die Bilder und die Fakten rundherum fehlen, bekommt Musik eine ganz andere Funktion“
Asako Yuzuki. Auch wenn es nach Mitternacht ist, bis das Buch fertig gelesen ist: Man wird Hunger haben – am besten: frisch gekochter Reis mit Butterflocken und paar Tropfen Sojasauce.
„Butter“ist der in die halbe Welt verkaufte Roman der Japanerin Asako Yuzuki. Sie mag Butter. Butter ist teuer und nicht so einfach in Tokio zu bekommen. Der Roman handelt vom Glück, denn es geht um gutes Essen.
Zuerst kochen
Zweitens ist er ein Blick in ein Land, in dem eine Frau nur einen Wert hat, wenn sie schlank ist. „So ’was wie eine Leiche“soll die Japanerin von heute sein; und kochen soll sie können. Drittens ist „Butter“, inspiriert von einer wahre Geschichte, eine fesselnde psychologische Studie: Eine Reporterin besucht die verhaftete – mollige! – Mörderin im Gefängnis und wird ein Fan jener Frau, die ihre Verehrer zuerst haubenverdächtig bekochte und dann, wenn sie lästig wurden, beseitigte.
Eine Provokation ist dieses Buch und ein fetter Genuss.
Patrick Leigh Fermor. Welche Freude es ist, nicht zu reden! Welche Freude für diejenigen, die schweigen und die, die nicht zuhören müssen! Der Londoner Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor (1915-2011) hat es ausgekostet. Sein Leben lang besuchte er Klöster. Ein Mann von Welt. Ein britischer Agent, der den Widerstand auf Kreta organisierte ... Nur anfangs kam er sich im Kloster wie auf einem Friedhof vor.
Wurzelgemüse
Bald brauchte er dieses Leben, um danach den Lärm draußen ertragen zu können. Die größte Offenbarung ist die Stille. Das ist zwar kein Zitat aus dem Buch, das nun übersetzt wurde. Es ist von Laotse, aber der Chinese war ja auch kein Dummer.
Fermor fing die Welt der Benediktiner in einer wunderbaren Mischung aus Historischem und Gefühltem ein. Mit Trappisten hatte er Probleme: 6 Stunden schlafen, 7 Stunden in der Kirche, der Rest ist Feldarbeit und stilles Gebet, und zum Essen gibt es Wurzelgemüse, fast immer nur Wurzelgemüse.
Patrick Leigh Fermor: „Eine Zeit der Stille“Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Dörlemann Verlag. 144 Seiten. 18,95 Euro