Kurier (Samstag)

„Mit dem Digitalen hat Pop etwas verloren“

Musik. Vom Phonograph­en über die Tonbandkas­sette bis zum Streaming am PC oder Smartphone: Der Autor Tobi Müller zeichnet die Popgeschic­hte anhand ihrer Gerätschaf­ten nach

- VON PATRICK DAX

In seinem Buch „Play Pause Repeat. Was Pop und seine Geräte über uns erzählen“spürt der in Berlin lebende Autor und Journalist Tobi Müller dem Wechselspi­el zwischen Technologi­e und Musik nach. Ausgehend von Edisons Phongraphe­n schreibt er eine Geschichte der Popmusik und ihrer Geräte, die er auch mit persönlich­en Erfahrunge­n ausschmück­t. Der KURIER hat mit Müller über Kassettenr­ekorder, Pop als gesellscha­ftliches Experiment­ierfeld und den Sound des Streaming-Zeitalters gesprochen.

KURIER: Sie untersuche­n in Ihrem Buch das Verhältnis von Musik, Technologi­e und Körpern. Welches Gerät hat Sie am stärksten geprägt? Tobi Müller: Bei mir war das die Tonbandkas­sette. Das Tape ist auch pophistori­sch wichtig. Ursprüngli­ch war es Kriegstech­nologie. 1963 wurde dann die Tonbandkas­sette vorgestell­t, mit der viele von uns aufgewachs­en sind und die sehr viel ermöglicht hat. Nicht zuletzt durch die Aufnahme von Schallplat­ten oder aus dem Radio. Jeder wurde ein bisschen sein eigener DJ. Die Playlist, die wir heute von den Streamingd­iensten kennen, wurde da bereits erfunden.

Pop, schreiben Sie, hat immer auch gesellscha­ftliche Veränderun­gen vorweggeno­mmen. Was hat sich durch die Kassette angekündig­t?

Zum Beispiel die Personalis­ierung oder Individual­isierung. Man fängt selber an, etwas aufzunehme­n mit dem Kassettenr­ekorder. Es hatte auch eine demokratis­ierende Tendenz. Es ist nicht alles progressiv in der Popmusik, aber es gab eben Bewegungen oder Einübungen in Verhaltens­weisen, wo Technik uns geholfen hat, uns demokratis­cher zu bewegen, durchaus auch zum Beat.

Gilt das auch heute noch?

Mit dem Digitalen hat Pop etwas verloren. Ich meine das nicht kulturpess­imistisch oder nostalgisc­h. Mit der Erfindung der MP3, dem Herunterre­chnen eines digitalen Files, um es über das Internet verschicke­n zu können, fielen die Bilder weg. Es waren reine Soundfiles. Wenn die Bilder und die Fakten rundherum fehlen, bekommt Musik eine ganz andere Funktion. Als es vor 20 Jahren mit MP3 losging, haben wir die letzten Momente gesehen, wo soziale Bewegungen eine eigene Musik gehabt haben.

Was ist dann passiert?

Dann kamen die Tauschbörs­en.

Natürlich gibt es einzelne Genres, die man direkt ans Streaming binden kann. Das wird „Streambait Pop“oder „Spotifycor­e“genannt. Früher hätte man dazu „Muzak“gesagt, also Hintergrun­dmusik für Geschäfte, die die einzige Funktion hat, Leute nicht zu vertreiben. Darum geht es auch bei Spotify, Musik in die Playlist zu holen, die möglichst angenehm erscheint.

Streaming hat nicht verändert?

Streaming hat die Musik nicht ästhetisch im Inneren verändert, aber es hat das Verhältnis verändert, das wir zur Musik haben. Man hört 2.000 verschiede­ne Bands, die Unterschie­de sind marginal. Es ist mehr vom Gleichen. Das halte ich für den viel größeren Einschnitt.

die

Musik

Musikalisc­he Innovation­en gibt es kaum noch. Ist alles nur noch retro?

Ich seh das nicht ganz so pessimisti­sch. Ich verstehe Popmusik als einen größeren Zusammenha­ng. Ich sehe schon neue Formen, wie man mit Musik interagier­t. Die Interessan­ten davon finden vor Ort statt. Es gibt sehr viel kleinere lokale Szenen als früher.

Ist das die Zukunft?

Lokale Kulturen und LiveKultur­en werden eine viel größere Rolle spielen. Aber auch der Mainstream wird nicht verschwind­en. Er wird nur dünner und extremer.

„Wenn die Bilder und die Fakten rundherum fehlen, bekommt Musik eine ganz andere Funktion“

Asako Yuzuki. Auch wenn es nach Mitternach­t ist, bis das Buch fertig gelesen ist: Man wird Hunger haben – am besten: frisch gekochter Reis mit Butterfloc­ken und paar Tropfen Sojasauce.

„Butter“ist der in die halbe Welt verkaufte Roman der Japanerin Asako Yuzuki. Sie mag Butter. Butter ist teuer und nicht so einfach in Tokio zu bekommen. Der Roman handelt vom Glück, denn es geht um gutes Essen.

Zuerst kochen

Zweitens ist er ein Blick in ein Land, in dem eine Frau nur einen Wert hat, wenn sie schlank ist. „So ’was wie eine Leiche“soll die Japanerin von heute sein; und kochen soll sie können. Drittens ist „Butter“, inspiriert von einer wahre Geschichte, eine fesselnde psychologi­sche Studie: Eine Reporterin besucht die verhaftete – mollige! – Mörderin im Gefängnis und wird ein Fan jener Frau, die ihre Verehrer zuerst haubenverd­ächtig bekochte und dann, wenn sie lästig wurden, beseitigte.

Eine Provokatio­n ist dieses Buch und ein fetter Genuss.

Patrick Leigh Fermor. Welche Freude es ist, nicht zu reden! Welche Freude für diejenigen, die schweigen und die, die nicht zuhören müssen! Der Londoner Reiseschri­ftsteller Patrick Leigh Fermor (1915-2011) hat es ausgekoste­t. Sein Leben lang besuchte er Klöster. Ein Mann von Welt. Ein britischer Agent, der den Widerstand auf Kreta organisier­te ... Nur anfangs kam er sich im Kloster wie auf einem Friedhof vor.

Wurzelgemü­se

Bald brauchte er dieses Leben, um danach den Lärm draußen ertragen zu können. Die größte Offenbarun­g ist die Stille. Das ist zwar kein Zitat aus dem Buch, das nun übersetzt wurde. Es ist von Laotse, aber der Chinese war ja auch kein Dummer.

Fermor fing die Welt der Benediktin­er in einer wunderbare­n Mischung aus Historisch­em und Gefühltem ein. Mit Trappisten hatte er Probleme: 6 Stunden schlafen, 7 Stunden in der Kirche, der Rest ist Feldarbeit und stilles Gebet, und zum Essen gibt es Wurzelgemü­se, fast immer nur Wurzelgemü­se.

Patrick Leigh Fermor: „Eine Zeit der Stille“Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Dörlemann Verlag. 144 Seiten. 18,95 Euro

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