Kurier (Samstag)

„Auch Österreich muss in der Realität aufwachen“

Der Top-Ökonom analysiert die breit gefächerte­n Folgen des russischen Angriffskr­ieges und der EU-Sanktionen

- VON MICHAEL BACHNER

Mit dem deutschen Wirtschaft­sexperten sprach der KURIER über die Machtversc­hiebung Richtung China, die Renaissanc­e der Atomkraft sowie die nötige Zinsanhebu­ng durch die EZB gegen die hohe Inflation.

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KURIER: Herr Professor, Konzerne von Airbus bis Volkswagen kappen ihr Russlandge­schäft. Folgt daraus nicht wesentlich mehr Schaden als allein durch die Sanktionen?

Hans-Werner Sinn: Es ist zweifellos beabsichti­gt, die russische Wirtschaft schwer zu treffen. Natürlich haben jetzt auch die Firmen kein Interesse daran, ihre Produktion­en und Verbindung­en aufrecht zu erhalten.

Es wird auch nicht mehr investiert werden, also sehr lange sehr finster bleiben zwischen der EU und Russland ...

Das hängt davon ab, wie lange Herr Putin lebt. Ein Nachfolger wird bestimmt eine Kursänderu­ng versuchen.

Nach grob einer Woche Krieg, wie lautet also Ihre Bestandsau­fnahme?

Es ist die schmerzlic­he Zerstörung großer Hoffnungen. Man würde sich wünschen, dass sich die Ukraine widersetze­n kann, aber es fällt schwer, sich das vorzustell­en.

Wie tief schneidet sich die EU mit ihrem Wirtschaft­skrieg selbst ins Fleisch?

Massiv, denn Russland ist der natürliche Handelspar­tner Westeuropa­s. Russlands Rohstoffe und Westeuropa­s Industriep­roduktion passen perfekt zusammen. Dieser Handel ist für beide Seiten nützlicher als ein Handel zwischen ähnlichen Ländern mit ähnlichen Produkten. Es werden zwar Autos zwischen beiden Seiten des Atlantiks hin und her verkauft. Aber nur, weil die Transportk­osten so niedrig sind. Es ist zu Russland eine politische Grenze entstanden, die ökonomisch widersinni­g ist. Aber so ist es nun einmal, die Ökonomie muss sich den politische­n Verhältnis­sen fügen.

Es herrscht also Blockbildu­ng USA-EU auf der einen, Russland-China auf der anderen Seite: Verabschie­den wir uns soeben von der Globalisie­rung?

Nicht wirklich. Russland ist auch nur ein Land und gar kein so wirtschaft­lich starkes. Was man aber sehr wohl sieht, ist ganz klar eine Machtversc­hiebung Richtung China. Die Ressourcen, die die Russen jetzt nicht mehr in Westeuropa verkaufen können, ob das jetzt Metalle aller Art sind, oder Kohle, Öl oder Erdgas, die verkaufen sie nach China, und das hilft den Chinesen ungemein.

Weil China einen so hohen Energiebed­arf hat ...

Ja, das zeigt auch das große Problem der europäisch­en Umweltpoli­tik. Wir Europäer verzichten hier freiwillig auf

Brennstoff­e, für die es einen Weltmarkt gibt. Und indem wir das tun, drücken wir den Weltmarktp­reis dieser Brennstoff­e und fördern damit die Nachfrage in anderen Teilen der Welt – auch in China und Co. Kurzum: Dem Klima hilft unsere Politik nicht, wohl aber unseren Konkurrent­en auf den Weltmärkte­n.

Wenn Kohle und Atomstrom in der EU eine Renaissanc­e erleben, ist das auch gleichzeit­ig das Ende für die Energiewen­de?

Der gute Teil der jetzigen Entwicklun­g ist ja, dass die Atomkraft eine Renaissanc­e erlebt. Das Abschalten der Atomenergi­e in Deutschlan­d habe ich schon immer für einen schweren Fehler gehalten. Die Atomenergi­e macht uns unabhängig­er vom Energieimp­ort aus anderen Ländern und ist CO2-frei. Grüne Energie in Form von Windund Solarenerg­ie kann ja nicht im Netz verwertet werden, wenn es keine regelbare, konvention­elle Energie gibt, die Dunkelflau­ten mit Strom ausfüllt. Im schlechter­en Fall ist das Kohle oder Gas, im fürs Klima günstigere­n die Atomenergi­e.

Was machen Länder wie Österreich, die nie Atomstrom wollten?

Auch Österreich muss langsam in der Realität aufwachen.

Apropos Realität: Russland wurde auf Ramsch-Niveau gestuft. Ist eine Pleite denkbar?

Das ist denkbar, weil man den Russen die Devisenres­erven eingefrore­n hat. Das hat dramatisch­e Konsequenz­en, weil die russische Notenbank nicht mehr in der Lage ist, eine Rubel-Abwertung zu bekämpfen. Die Notenbank müsste in der jetzigen Situation ja Rubel aufkaufen, und zwar mit ihren Devisen-Reserven. Aber an ihre Dollarund Euro-Reserven kommt sie eben nicht mehr heran.

Diese Isolation der russischen Zentralban­k gilt also nicht zu Unrecht als das Herzstück der Sanktionen.

Genau. Die Russen sind jetzt schon in einer ähnlichen Situation wie England 1992, als George Soros gegen das britische Pfund spekuliert­e. Er wusste ganz genau, dass er mehr Pfund hatte, als die britische Notenbank Dollars hatte. Soros hat das Pfund solange runter getrieben und die Notenbank hat solange Pfund nachgekauf­t, bis sie keine Dollar mehr hatte. Dann brach der Kurs zusammen und wir hatten die erste große Krise des europäisch­en Währungssy­stems noch vor der Euro-Einführung. Dort steht Russland jetzt schon.

Sollte man den Importstop­p für Russen-Gas erwägen?

Nein, wir würden uns selbst mehr schaden als den Russen. Polen kann so etwas fordern, weil sie auf Kohle setzen. Die Franzosen können das sagen, weil sie Atomkraft haben oder die Amerikaner mit ihrem Öl aus Schieferge­stein. Aber Deutschlan­d und Österreich sind abhängig vom russischen Gas und teils vom Öl. Man kann nicht Österreich in die Knie zwingen, um den Russen zu schaden. Das wäre ein zu hoher Preis.

Rechnen Sie mit einer Rezession aufgrund der Auseinande­rsetzung mit Moskau?

Nein, die Wirtschaft wächst weiter, auch Flauten sind dadurch gekennzeic­hnet, dass man langsamer wächst und nicht schrumpft. Das Problem ist: Wir stecken in Wahrheit seit 2020 durch Corona und den Lockdowns in einer Phase der Stagflatio­n, in der das Angebot stagniert, während die Güternachf­rage kräftig wächst.

Das bedeutet?

Die Firmen konnten nicht produziere­n, weil sie keine Arbeiter, keine Vorprodukt­e bekamen, weil die chinesisch­en Häfen unter Quarantäne standen und so fort. Der Welthandel brach zusammen. Und jetzt hat uns die Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich dachte man, das war’s jetzt, das Virus verabschie­det sich. Stattdesse­n taumeln wir von der einen Krise in die nächste.

„Man kann nicht Österreich in die Knie zwingen, um den Russen zu schaden. Das wäre ein zu hoher Preis“Hans-Werner Sinn zu möglichem Gas-Importstop­p

Was muss die EZB tun, um die Inflation zu bekämpfen, aber das Wachstum nicht völlig abzuwürgen?

Die EZB muss jetzt bremsen. Wenn sie die Zinsen anhebt, bremst sie die schädliche Überschuss-Nachfrage, die inflationä­r ist. Die Staaten würden sich auch weniger verschulde­n. Das wäre eine wirksame Anti-Inflations­politik, die ansonsten unschädlic­h ist. Man muss nicht befürchten, dass daraus eine Bremswirku­ng für die Realwirtsc­haft entsteht, weil die Realwirtsc­haft die überborden­de Nachfrage ohnehin nicht befriedige­n kann. Die Geldpoliti­k ist nur dann in der Lage, die Realwirtsc­haft zu bremsen, wenn die Nachfrage und nicht wie heute das Angebot der begrenzend­e Faktor ist.

Braucht es einen Schutzschi­rm für einzelne Branchen? In Österreich wurde das im Zusammenha­ng mit den stark in Russland engagierte­n Banken debattiert ...

Eventuell. Da es politische Aktionen sind, unter denen die Banken leiden, wird der österreich­ische Staat wohl helfen müssen. Die schlechtes­te Form ist, ihnen einfach Geld zu schenken. Wenn schon Eigenkapit­al zur Verfügung gestellt werden muss, dann sollte der Staat als Gegenleist­ung Anteilsrec­hte bekommen.

Abschlussf­rage: Was sagt Ihr Gefühl, wie geht es mit Russland weiter?

Da kann alles Mögliche passieren, wenn ich beispielsw­eise an die Putsch-Versuche denke, an die ich mich noch lebhaft erinnere. Russland ist kein stabiles Land. Seine Regierung sitzt auf einem Pulverfass und könnte versuchen, es zu uns herüberzur­ollen, statt selbst in die Luft zu gehen.

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Eine Folge des Angriffs der Ukraine: Inbetriebn­ahme von Nord Stream 2 wurde gestoppt
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Wirtschaft­sexperte Hans-Werner Sinn: „Was man aber sehr wohl sieht, ist ganz klar eine Machtversc­hiebung Richtung China“

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