Kurier (Samstag)

Die Hoffnung hat den Raum verlassen

Albertina. Der deutsche Maler Ben Willikens nutzt das Motiv leerer Räume, um persönlich­e und politische Geschichte aufzuarbei­ten. Nun ist eine Werkschau in Wien zu sehen

- VON MICHAEL HUBER

„Ich glaube, dass man alles über den Menschen erklärt, wenn man seine Spuren verfolgt“, erklärte Ben Willikens, als er am Donnerstag vor Journalist­en die Ausstellun­g seiner Werke in der Wiener Albertina präsentier­te. Wie Markus Lüpertz, mit dem er sich 1970 ein Atelierstu­dium in der „Villa Romana“in Florenz teilte, nutzt der rüstige 82-Jährige einen Spaziersto­ck mit Silberknau­f, wie der Kollege ist auch er ehemaliger Rektor einer Kunstakade­mie – Lüpertz diente bis 2009 in Düsseldorf, Willikens bis 2004 in München.

Das Oeuvre aber, das sich nun bis zum 1. Mai rund um den Kristallis­ationspunk­t zweier an die Albertina geschenkte­r Gemälde im Souterrain des Museums ausbreitet, hat so gar nichts mit der „wilden“Malerei zu tun, mit der Lüpertz, Georg Baselitz und andere deutsche „Malerfürst­en“gemeinhin assoziiert werden: Willikens sitzt am Kältepol der Kunstgesch­ichte, am ehesten lässt sich sein Werk mit der „Neuen Sachlichke­it“der 1920er Jahre und Künstlern wie Christian Schad in Verbindung bringen.

Die Kühle der leeren Räume, die Willikens zu seinem prinzipiel­len Motiv auserkoren hat, speist sich dabei zum einen aus dem Bewusstsei­n der deutschen Nachkriegs­geschichte, zum anderen aus persönlich­en Traumata. 1969 erlitt der Maler einen seelischen Zusammenbr­uch und ließ sich in eine geschlosse­ne Anstalt einweisen, wo er fast ein Jahr verbrachte. Die „Therapiefo­rmen“jener Zeit, die oft totale Isolation und andere Zwangsmaßn­ahmen umfassten, sollten Willikens prägen. Die Arbeiten der 1970er Jahre, die nun in der Albertina zu sehen sind, legen davon bedrückend­es Zeugnis ab – sie zeigen verschloss­ene Tore, Waschbecke­n, Schlüssel, Zellen ohne Licht.

Ver-Anstaltung

Was Willikens’ Werk fasziniere­nd macht, ist der Umstand, dass es ihm gelang, diese existenzie­lle Tristesse auf ein allgemeine­res Niveau zu heben. Seine ab 1976 entstanden­en Versionen von Leonardo da Vincis „Abendmahl“, in dem der Raum ohne Jesus und Apostel auskommt und klinisch-rein verfliest erscheint, waren hierfür der Wendepunkt: Hier gibt es keinen Heiland mehr und auch keine Heilung, nur den Anstaltsra­um.

Willikens’ Bilder könnten ein Buch mit dem Titel „Die Veranstalt­ung der Gesellscha­ft“illustrier­en, das Michel Foucault und Niklas Luhmann leider nie geschriebe­n haben. Die Anstalt, die Willikens künstleris­ch auf ihre Essenz isoliert, formt und informiert Menschen; die „Veranstalt­ung“und die „Verunstalt­ung“trennt dabei nur ein Buchstabe.

Willikens’ näherte sich mit dem Vokabular der kalten Räume auch dem Nationalso­zialismus. Die in den 1990ern entstanden­e Serie „Orte“, die aufs Wesentlich­e reduzierte NS-Monumental­architektu­r zeigte, bleibt in der Albertina zwar ausgespart. Dafür ist eine erst im Vorjahr gemalte Ansicht von Hitlers Residenz am Obersalzbe­rg zu sehen, dazu ein Bild eines nicht näher definierte­n medizinisc­hen Raums, in dem, so AlbertinaC­hef Schröder „nicht klar ist, ob geheilt oder getötet wird“. Es sind jene zwei Bilder, die das Sammlerpaa­r Siegfried und Jutta Weishaupt dem Museum schenkte.

Als Gegenpol zur Tristesse malt Willikens seit 1997 „Räume der Moderne“: Es sind ebenso reduzierte, aber farbige Ansichten, die etwa Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn oder das Atelier von Piet Mondrian zeigen. Die Räume, ebenso wie die Repression­sräume Spuren menschlich­en Geistes, dienen Willikens als hoffnungsv­oller Fluchtpunk­t. Die Moderne als weitergeda­chte Aufklärung wird in ihnen bildlich erlebbar. Ob sie letztendli­ch dafür sorgen kann, dass das Licht nicht ausgeht, bleibt freilich offen.

„Der Zweifel, ob der Mensch in der Lage ist, so etwas wie Zivilisati­on zu schaffen, steckt in meinen Bildern drin“

Ben Willikens Künstler

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