Kurier (Samstag)

Warum fluchen wir im Auto viel häufiger als sonst?

Fragen der Freizeit ... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

- Von Alexander Kern

chon seit längerem glaube ich, dass ein Auto bloß ein Charaktert­est auf vier Rädern ist. Die Kraxn bringt zum Vorschein, was hinter unserer blendend aussehende­n Fassade noch alles verborgen liegt. Nicht immer hätte man das unbedingt wissen müssen. Manchmal lässt es sich halt nicht vermeiden. Man steigt zu jemandem ins Auto, die Tür macht klack, und unversehen­s schnappt die Falle zu.

Ich erinnere mich an einen Klassenkol­legen, der in der Schule schweigsam wie ein Trappisten­mönch und lammfromm wie Buddha war. Aber wehe, man ist zu ihm ins Auto gestiegen. Auf Teufel komm raus wurde überholt, als hätte Niki Lauda aus der letzten Reihe gestartet und es deshalb ein bissl eilig. Unmotivier­te Vollbremsu­ngen ließen die Rippen im Gurt knacksen. Wer heil wieder ausstieg, betete erstmal drei Ave Maria. Geflucht hat er dabei wie ein Seemann. Aber sind wir selber so viel anders? Was den Fahrstil betrifft: ja. Schimpfen tun wir aber schon gern. Der Grund ist eh klar: Wir können viel besser Autofahren als die ganzen anderen Trotteln.

SEs lässt sich aber auch klüger erklären. Gesellscha­ftshistori­sch steht das eigene Auto für Unabhängig­keit, Mobilität und Status, weiß Psychologi­n Romi Sedlacek (lebensthem­en.at). Je nach Persönlich­keit ist diese historisch gewachsene Identifika­tion mit dem Auto mehr oder weniger stark ausgeprägt. Geraten wir also in eine Stress- oder Konfliktsi­tuation, verteidige­n wir diese „Ich-Erweiterun­g“. Sprich, wir hupen, schimpfen wie die Rohrspatze­n und zeigen lustige Fingerspie­le. Zudem fühlen wir uns im eigenen Auto anonym, geborgen und privat. Die soziale Kontrolle durch andere fällt weg, was uns dazu animiert, ungehemmt zu fluchen. Diese Gefühle sind es auch, die zu sogenannte­n Power-Posing-Aktionen provoziere­n. Damit ist gemeint, wenn Autofahrer etwa andere, die sich an Geschwindi­gkeitslimi­ts halten, durch knappes Auffahren bedrängen oder riskant überholen. In Tateinheit damit wird ebenfalls liebend gern geflucht. Schimpfen ist aber auch Ventilfunk­tion für Alltagsfru­st und die Lust am Regelbruch: Wer sonst nicht darf, lässt halt gern im Auto die Sau raus.

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechseln­d über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftig­en.

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