Kurier (Samstag)

Militärkon­voi in Kiew geht in Angriffspo­sition über

Im Ukraine-Krieg dürfte eine neue Phase anlaufen

- VON ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

Truppenbew­egungen. Einheiten scheinen Russische ihre Kräfte für einen erneuten Angriff auf die ukrainisch­e Hauptstadt zu sammeln, auch von Osten ist mit einem Angriff zu rechnen.

Auch wenn der Vormarsch der Invasoren in den vergangene­n Tagen ins Stocken geraten ist, sieht die Lage für die ukrainisch­en Streitkräf­te nicht gut aus: Im Südosten des Landes droht eine Einkesselu­ng, vor allem im Süden formieren sich russische Verbände für weitere Vorstöße.

Mariupol unter Feuer

Indes zieht die russische Armee ihren Belagerung­sring um die Stadt Mariupol immer enger, bombardier­t die Stadt weiterhin massiv. Fällt Mariupol, werden für die Offensive auf weitere Städte wie Kräfte Saporischs­chja frei. Doch bereits jetzt werden auch bisher verschonte Städte wie Dnipro bombardier­t – der KURIER sprach mit einem Augenzeuge­n. Den ukrainisch­en Streitkräf­ten bleibt derweil nur übrig, mit Gegenstöße­n – wie etwa in Charkiw – ein weiteres Vorrücken zu verhindern.

„Wir haben keine Pläne, ein anderes Land anzugreife­n. Und wir haben auch die Ukraine nicht angegriffe­n.“

Was der russische Außenminis­ter diese Woche nach dem Gespräch mit seinem ukrainisch­en Amtskolleg­en sagte, ist ein Widerspruc­h in sich. Genauer: Lässt man das russische Geschwurbe­l einmal beiseite, dass die vom Westen aufgehusst­e, Russland bedrohende Ukraine nur von Neonazis und entartetem Lebensstil befreit werden sollte, dann dreht die Lüge im zweiten Satz („haben nicht angegriffe­n“) den Inhalt des ersten („keine Pläne anzugreife­n“) um.

Sprich: Wen wird Wladimir Putin als nächstes überfallen?

Das ist ja das Gefährlich­e an derWeltlag­egerade:Wirhaben es nicht nur mit einem kleinen ehemaligen KGB-Agenten zu tun, der den Zusammenbr­uch der DDR und des Sowjetreic­hes nicht verwunden hat und gerade geopolitis­ch Revanche nimmt; der Russland zu alter Größe führen will; der Zivilisten niederbomb­t; der mit dem Z-Symbol auf Kriegsgerä­t und an Türen von Regimegegn­ern fatal an ein vergangene­s Symbol erinnert, man weiß schon.

Wir haben es auch mit notorische­n Lügnern zu tun, die sich auf ihrem Feldzug über den Westen lustig machen. Als alle Zeichen auf Sturm und Einmarsch der über Monate formierten russischen Truppen in die Ukraine standen und die USA fast auf den Tag genau den

Beginn des Verbrechen­s berechnete­n, warf Putin den USA „Hysterie“vor (sein Sprachrohr Karin Kneissl sprach von „Kriegseuph­orie“des Westens) – kurz darauf überfiel Russland die Ukraine.

„Der Atomkrieg findet in den Köpfen des Westens statt“, sagte Sergej Lawrow kürzlich; „wir erfüllen alle unsere Verpf lichtungen“in Sachen Ölund Gaslieferu­ngen, sagte nun Wladimir Putin – wenn man das alles vom Sinn her wie oben umdrehte: gute Nacht, Welt.

Bedrohung für Putin

Putin belügt aber vor allem auch das eigene Volk. Und zwar mit der Mär von der Bedrohung Russlands durch die nach Osten erweiterte NATO. Bei allen mitgeliefe­rten Fehlern:

Die Verbreitun­g westlicher Werte – ökonomisch­er, demokratis­cher, ethischer – auf die ehemaligen Staaten des sogenannte­n „Ostblocks“hat den meisten von ihnen eine ungeheure Prosperitä­t gebracht, vom Baltikum über Tschechien bis Ungarn. Im Vergleich zu Russland, das dank des Systems Putin Jahrzehnte hintennach hinkt. Das ist die eigentlich­e Bedrohung, nicht für Russland, sondern für Putin.

Die Zeit ist gerade an Hoffnungen arm. Aber dass die Menschen in Russland diese Lüge durchschau­en und sich gegen den Verbrecher erheben, der sie weiter in tief-sowjetisch­e Finsternis stößt, wäre vielleicht eine.

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