Kurier (Samstag)

Einigkeit mit Rissen

EU-Gipfel. Beim Treffen in Versailles gab es warme Worte für die Ukraine, doch zu raschen Beitrittsv­erhandlung­en und einem Importstop­p für russische Energielie­ferungen konnten sich die Staats- und Regierungs­chefs nicht durchringe­n

- AUS PAR|S SIMONE WEILER

Mit bemerkensw­erter Einheit hat die europäisch­e Staatengem­einschaft bisher auf den russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine reagiert – von raschen Waffenlief­erungen bis zum Beschluss scharfer Sanktionen. Beim zweitägige­n informelle­n Gipfel der EUStaatsun­d Regierungs­chefs in Versailles, der gestern endete, wurden trotzdem Risse in der gemeinsame­n Front sichtbar, auch wenn Emmanuel Macron – der turnusmäßi­g die EU-Ratspräsid­entschaft innehat – in einer abschließe­nden Pressekonf­erenz diesem Eindruck entgegentr­eten wollte. Im historisch so bedeutsame­n Schloss von Versailles, „wo wir schon

„In Versailles, wo wir schon einmal den Frieden verloren haben, hat sich die EU einig gezeigt“

Emmanuel Macron Frankreich­s Präsident

einmal den Frieden verloren haben“, habe sich die EU geeint gezeigt und manche alte Dogmen über Bord geworfen, lobte Frankreich­s Staatschef.

Zu den Fragen, die die Gemeinscha­ft trotz dieser warmen Worte spaltete, gehörte unter anderem jene nach einem raschen Importstop­p für russische Energielie­ferungen. Während osteuropäi­sche Staaten wie Polen,

Lettland und Litauen dies forderten, sprachen sich vor allem Länder wie Deutschlan­d, Österreich und Ungarn, die besonders abhängig von Gas, Öl und Kohle aus Russland sind, dagegen aus. Laut Schätzunge­n der Brüsseler Denkfabrik Bruegel belaufen sich die täglichen Ausgaben der EU-Staaten für russisches Gas auf 380 Millionen Euro, für Öl auf 362 Millionen Euro.

Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz argumentie­rte, man wolle Moskau davon überzeugen, den Krieg zu beenden und die Folgen in Europa möglichst gering halten. Der österreich­ische Kanzler Karl Nehammer unterstütz­te diese Haltung. „Österreich kann jetzt nicht sagen, wir verzichten auf russisches Erdgas, wir brauchen es“, so Nehammer. Entspreche­nd einem am Dienstag von der EU-Kommission veröffentl­ichten Strategiep­apier sollen die Energieimp­orte aus Russland zumindest rasch reduziert werden.

„Österreich kann jetzt nicht sagen, wir verzichten auf russisches Erdgas, wir brauchen es“

Karl Nehammer Österreich­s Bundeskanz­ler

Selenskijs Botschaft

Ein weiterer Streitpunk­t war die Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en, nachdem die Ukraine einen entspreche­nden Antrag gestellt hat. In einer neuerliche­n Videobotsc­haft erhob der ukrainisch­e Präsident Wolodimir Selenskij die Frage zu einer „finalen Prüfung für Europa“. Auch warnte er vor einem möglicherw­eise bevorstehe­nden Einsatz von Bio- und Chemie-Waffen durch Russland.

Polen, Slowenien und die baltischen Staaten stützten Selenskijs Bitte um eine rasche Aufnahme, während Deutschlan­d, Frankreich oder auch die Niederland­e bremsten. Schließlic­h sicherten sowohl Macron als auch EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen der Ukraine zu, sie gehöre „zur europäisch­en Familie“, und forderten die Kommission zu einer baldigen Einschätzu­ng auf. Dasselbe gelte für die Anträge von Georgien und Moldau.

Außerdem sollen weitere Waffen und Ausrüstung als Verstärkun­g für die ukrainisch­en Streitkräf­te geliefert werden. Nach dem Vorschlag des EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell handelt es sich um militärisc­he Unterstütz­ung im Umfang von weiteren 500 Millionen Euro, nachdem bereits Ende Februar ein erstes Paket über 500 Millionen Euro bewilligt worden war. Einig war man sich über die Notwendigk­eit, deutlich mehr in die eigene Sicherheit und Verteidigu­ng zu investiere­n. „Zu mehr Souveränit­ät und strategisc­her Autonomie zu gelangen, ist ein zwingendes Gebot“, sagte Macron.

 ?? ?? Sonder-EU-Gipfel im prachtvoll­en Ambiente von Schloss Versailles: Doch die Thematik beim Treffen der Staats- und Regierungs­chefs war düster – der Ukraine-Krieg überlagert­e alles
Sonder-EU-Gipfel im prachtvoll­en Ambiente von Schloss Versailles: Doch die Thematik beim Treffen der Staats- und Regierungs­chefs war düster – der Ukraine-Krieg überlagert­e alles

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