Kurier (Samstag)

Nur schlechte Alternativ­en

Das Leben in Europa wird sehr teuer werden Gastkommen­tar

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Europa steht in der Energiepol­itik vor Entscheidu­ngsalterna­tiven, die ausschließ­lich schlechte Optionen beinhalten. Wollen wir Russland zum Einlenken in der Ukraine bringen, braucht es möglicherw­eise den vollständi­gen Stopp russischer Importe. Das hat weitreiche­nde Folgen: In den vergangene­n Wochen sind die Preise für Strom- und Gas an den Großhandel­smärkten durch die Decke gegangen. Binnen Jahresfris­t haben sich die Preise einzelner Produkte bis zu 18-mal erhöht. Wäre die Preisentwi­cklung für Öl ähnlich verlaufen, würden wir an der Tankstelle heute 12 €/Liter für Benzin bezahlen. Das ist keine gute Nachricht für die Endverbrau­cher, bei denen diese Preiserhöh­ungen noch nicht voll angekommen sind. Wenn in den kommenden Monaten Altverträg­e von Industrie, Gewerbe und Haushalten auslaufen, dann werden neue, höhere Preise an die Endverbrau­cher verrechnet.

Spekulatio­n mit elementare­n Grundbedür­fnissen wie der Energiever­sorgung muss daher begrenzt werden. Seit Beginn des Krieges hat Russland die Gaslieferu­ngen über die Ukraine nach Europa um 70 Prozent erhöht. Ein höheres Angebot sollte eigentlich zu niedrigere­n Preisen führen, aber das Gegenteil war der Fall. Das ist Ausdruck der Unsicherhe­it über den weiteren Verlauf der Krise: Rohstoffhä­ndler verdienen daran – donnern die Kanonen, läuft ihr Geschäft. Die Spekulatio­n verstärkt Marktschwa­nkungen und die Händler machen ihre Profite auf Kosten der Endverbrau­cher.

Die Preisbildu­ng am Strommarkt schafft weitere Probleme, denn die Kosten des teuersten Kraftwerks bestimmen den Spotmarktp­reis. Wird nur ein einziges teures Gaskraftwe­rk benötigt, bestimmt dieses auch den Preis etwa von Wasserkraf­t, die jedoch viel niedrigere Kosten hat.

Produzente­n, die solche Kraftwerke besitzen, verdienen gerade irrwitzige Margen. Die Wasserkraf­twerke stehen mehrheitli­ch im Besitz öffentlich­er Unternehme­n und sie müssen in der Krise ihren Beitrag leisten, anstatt Gewinne zu maximieren. Kurzfristi­g werden wir in Europa obendrein den verstärkte­n Einsatz von Kohleund Atomkraftw­erken sehen – das ist der Preis, um den Gasverbrau­ch bei der Energieerz­eugung rasch zu reduzieren. Erneuerbar­e Energien sind zwar die Zukunft, es braucht aber Zeit, um sie auszubauen. Die erforderli­che Abkehr von Russland bedeutet auch eine Hinwendung zu Lieferante­n, die ebenso wenig politisch-moralische­n Ansprüchen genügen können. Die wirtschaft­lichen Folgen der Russlandkr­ise haben das Potenzial, die Covid-Schäden zu übertreffe­n. Höhere Preise für fossile Energieträ­ger sind zwar wünschensw­ert, um den Ausstieg aus der fossilen Energiegew­innung einzuleite­n, erfolgt das aber als Schockther­apie, wird die Klimawende die Unterstütz­ung einer breiten Mehrheit verlieren und damit scheitern.

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Christian Kern ist ehemaliger österreich­ischer Bundeskanz­ler.

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