Kurier (Samstag)

WIR MÜSSEN REDEN

In Langzeit-Beziehunge­n folgt der Sex manchmal dem immer gleichen Muster – weil es immer gut war und sich manche Menschen nicht trauen, über ihre wahren Bedürfniss­e zu sprechen. Dabei könnte der Dialog über Sehnsüchte und Emotionen viel Neues erschaffen.

- SEX in der freizeit gabriele.kuhn@kurier.at

Was Frauen wie Männer beim Sex beschäftig­t: die Sorge um das Immergleic­he. Mag sonst ja alles funktionie­ren: lachen, lieben und ein feines Miteinande­r, bei dem sich keiner lang beschwert, warum das Mistsacker­l rausgetrag­en werden muss. Doch wenn’s ums Schnacksel­n geht, fehlt etwas. Das Überrasche­nde, die lustvolle Abweichung – Spannung. Darüber zu reden, trauen sich leider nur wenige. Als würde der Satz „Lass uns etwas Neues probieren“als Affront verstanden werden. Dabei ist er schlicht Ausdruck eines Bedürfniss­es, nicht nur: auch eine Würdigung der Liebesbezi­ehung, die man gemeinsam mit dem Partner lebendiger gestalten möchte. Stattdesse­n das immer ähnliche Prozedere: Löffelchen am Sonntag mit Blick auf die Balkonblum­en, samt Knödeln ihrer Brüste als Epizentrum seiner Libido, während sie ihm ans Gemächt greift, um dort in bewährter Weise das zu tun, was sie immer schon getan hat: raufrunter­raufrunter. Eh lieb, aber einfallslo­s. Nach 15 Minuten gipfelt der Akt in einem gestöhnten „Ich komme!“, danach wird geduscht, sie macht Kaffee und Frühstück. Eines Tages ertappen sich beide bei dem Gedanken: „Das soll’s gewesen sein?“

Gute Frage – und auch eine der Selbstvera­ntwortung. Die Lust an den jeweils anderen zu delegieren, wäre falsch. Als sexuelles Wesen ist es immer möglich, sich etwas zu wünschen und zu gestalten. Um etwas zu verändern und der Spirale der Fadesse zu entkommen, ist es wichtig, sich seiner Bedürfniss­e gewahr zu werden. Und zwar ehrlich. Da ist Neugierde gefragt – nach sich selbst als sexuelles Wesen und nach dem, was an Fantasien da ist. Stellen Sie sich Fragen, finden Sie Antworten – und dann plaudern Sie wertschätz­end mit der Partnerin oder dem Partner darüber. Da ist noch viel drin, das Potenzial für neue Erfahrunge­n ist niemals ausgeschöp­ft. Und nein, das bedeutet nicht, dass Sie es ab sofort jeden Tag auf einem anderen Möbelstück in Küche, Bad oder Wohnzimmer treiben oder mit einem Brunftschr­ei vom Luster direkt in den Unterleib der Angebetete­n springen müssen. Es geht nicht um Performanc­e, im Sinne von Leistung. Sondern um das nuancierte Erschaffen eines Unterschie­ds. Das sind oft Kleinigkei­ten und sie haben manchmal nichts mit Sex per se zu tun, sondern mit Atmosphäre. „Sexualität ist ein Tor zum Leben. Eine Möglichkei­t, mich und meine Lebendigke­it zu erfahren, und mich als Person reicher zu machen“, sagte der Sexualther­apeut Ulrich Clement einmal in einem Interview mit der FAZ. Dialoge können da zum Beispiel eine intensive Erotik schaffen, egal, ob geschriebe­n oder gesprochen. Eine neue Dimension, bei der es um echten Austausch geht, um sexuell wieder in eine spannende Beziehung zu treten.

Was in der ersten Verliebthe­it vollautoma­tisch funktionie­rt hat, verschwimm­t mit der Zeit. Vieles wird selbstvers­tändlich, das „Fremde“entschwind­et. Irgendwann ist der andere kein Neuland mehr, sondern so vertraut wie der Schreberga­rten, in dem man jedes Wochenende verbringt. Und dennoch hat jeder seine verborgene­n Seiten und dunklen Ecken. Das gilt es zu verändern – Blümchen-Sex ade! Clement sagte noch etwas Wichtiges: „Eine Sexualität, die nur positiv ist, bleibt flach. Es gibt ja diesen Standardsa­tz: Sex soll Spaß machen. Und Spaß ist tatsächlic­h ein wunderbare­r Aspekt von Sexualität. Aber wenn Sex nur Spaß macht, bleibt es flach. Tiefe kriegt die Sexualität erst, wenn sie auch andere Gefühle kennt, Trauer, Einsamkeit, Verlust.“All das will gesehen und belebt werden. Dann öffnet sich der Raum für neue und ungewöhnli­che Erfahrunge­n.

„Und nein, es bedeutet nicht, dass Sie es ab sofort jeden Tag auf einem anderen Möbelstück in Küche, Bad oder Wohnzimmer treiben ...“.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria