Eine Stimmung, die bleiben könnte
Der Auftritt von Innenminister Gerhard
Karner in der ZiB 2 war bemerkenswert.
Karner legte da nicht nur eine 180Grad-Kehrtwende zur bisherigen Migrationspolitik der türkisen ÖVP hin, er ging sogar noch weit darüber hinaus, indem er glaubhaft den Eindruck vermittelte, dass man viel mehr als das Notwendige zu tun bereit ist, um den Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen. Das ist gut, richtig und wohltuend – und jedenfalls war in der bisherigen Diskussion nie von „Pull-Faktoren“oder vom Abdichten gegenüber der FPÖ die Rede. Karner sprach von Sicherheit und Hoffnung geben und von einer
Heimat für die Flüchtlinge. Auch Meinungsumfragen würden zeigen, dass die Mehrheit erwartet, dass geholfen wird oder selbst bereit ist, Wohnraum, Geld, Kleidung, Nahrungsmittel oder Herzenswärme zu spenden.
Doch damit sind wir schon beim Thema der Stimmung im Land. Die Hilfsbereitschaft, die wir nun spüren, gab es ja auch in den ersten Sommerwochen des Jahres 2015, als Hunderttausende (ebenfalls vom Krieg vertriebene) Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan nach Europa kamen. Doch obwohl die meisten von ihnen rasch durch Österreich durchgezogen sind, kippte nur zwei Monate später die Stimmung.
Diesmal besteht eine gute Chance, dass es anders ist. Zu nahe ist uns schon geografisch die Ukraine, viele entdecken jetzt, dass zwischen uns und den Raketen, die in der Westukraine gestern Nacht einschlugen, nur noch ein Land ist. Wir sehen, dass diesmal Frauen und Kinder kommen, zum großen Teil gut ausgebildet.
Manche träumen sogar, dass damit unsere Personalprobleme bei Facharbeitern, Pflegern und im Tourismus gelöst werden können. Die Geflüchteten erwecken den Eindruck, dass sie schnell arbeiten und nach dem Krieg rasch zurückkehren wollen. Und es gibt keine Bilder von Flüchtlingsströmen an der Grenze, von Massen, die ein ratloses Polizeiaufgebot überlaufen. Bisher zumindest geschieht die Aufnahme geordnet und beinahe unsichtbar. Und das heißt natürlich, dass afghanischen Männern genauso zu helfen ist, dass man von anderen Krisenherden der Welt nicht wegschauen darf und jedes menschliche Leid gleich traurig ist.
Natürlich haben viele die Sorge, ob angesichts einer geschätzten Zahl von 200.000 Flüchtlingen unser Sozialsystem überlastet wird. Doch selbst diese Menge entspricht nur etwas mehr als 2 Prozent unserer Bevölkerung – statt 25 Kindern in der Klasse 26, statt 10 Patienten im Wartezimmer vielleicht 11. Wichtig wäre, dass die Verteilung über das ganze Land funktioniert, auch wenn vereinzelt Großquartiere notwendig sein werden. Und budgetär haben wir bei Corona gesehen, dass fast alles möglich ist, wenn es sein muss.
Natürlich ist für eine (temporäre) Integration viel zu tun, doch die Richtung auf den ersten Metern stimmt, wobei uns allen klar sein muss, dass die Hilfe ein langjähriger Marathon werden kann. Doch wer einen Marathon erstmals geschafft hat, weiß, dass man danach mit sich selbst sehr glücklich sein kann.
LEITARTIKEL
Hilfe kennt keine Bedingungen, das erkennt diesmal auch die ÖVP. Und im Gegensatz zu 2015 wird die Hilfswelle diesmal anhalten