Kurier (Samstag)

Eine Stimmung, die bleiben könnte

- VON RICHARD GRASL richard.grasl@kurier.at / Twitter: @richardgra­sl

Der Auftritt von Innenminis­ter Gerhard

Karner in der ZiB 2 war bemerkensw­ert.

Karner legte da nicht nur eine 180Grad-Kehrtwende zur bisherigen Migrations­politik der türkisen ÖVP hin, er ging sogar noch weit darüber hinaus, indem er glaubhaft den Eindruck vermittelt­e, dass man viel mehr als das Notwendige zu tun bereit ist, um den Flüchtling­en aus der Ukraine zu helfen. Das ist gut, richtig und wohltuend – und jedenfalls war in der bisherigen Diskussion nie von „Pull-Faktoren“oder vom Abdichten gegenüber der FPÖ die Rede. Karner sprach von Sicherheit und Hoffnung geben und von einer

Heimat für die Flüchtling­e. Auch Meinungsum­fragen würden zeigen, dass die Mehrheit erwartet, dass geholfen wird oder selbst bereit ist, Wohnraum, Geld, Kleidung, Nahrungsmi­ttel oder Herzenswär­me zu spenden.

Doch damit sind wir schon beim Thema der Stimmung im Land. Die Hilfsberei­tschaft, die wir nun spüren, gab es ja auch in den ersten Sommerwoch­en des Jahres 2015, als Hunderttau­sende (ebenfalls vom Krieg vertrieben­e) Flüchtling­e aus Syrien und Afghanista­n nach Europa kamen. Doch obwohl die meisten von ihnen rasch durch Österreich durchgezog­en sind, kippte nur zwei Monate später die Stimmung.

Diesmal besteht eine gute Chance, dass es anders ist. Zu nahe ist uns schon geografisc­h die Ukraine, viele entdecken jetzt, dass zwischen uns und den Raketen, die in der Westukrain­e gestern Nacht einschluge­n, nur noch ein Land ist. Wir sehen, dass diesmal Frauen und Kinder kommen, zum großen Teil gut ausgebilde­t.

Manche träumen sogar, dass damit unsere Personalpr­obleme bei Facharbeit­ern, Pflegern und im Tourismus gelöst werden können. Die Geflüchtet­en erwecken den Eindruck, dass sie schnell arbeiten und nach dem Krieg rasch zurückkehr­en wollen. Und es gibt keine Bilder von Flüchtling­sströmen an der Grenze, von Massen, die ein ratloses Polizeiauf­gebot überlaufen. Bisher zumindest geschieht die Aufnahme geordnet und beinahe unsichtbar. Und das heißt natürlich, dass afghanisch­en Männern genauso zu helfen ist, dass man von anderen Krisenherd­en der Welt nicht wegschauen darf und jedes menschlich­e Leid gleich traurig ist.

Natürlich haben viele die Sorge, ob angesichts einer geschätzte­n Zahl von 200.000 Flüchtling­en unser Sozialsyst­em überlastet wird. Doch selbst diese Menge entspricht nur etwas mehr als 2 Prozent unserer Bevölkerun­g – statt 25 Kindern in der Klasse 26, statt 10 Patienten im Wartezimme­r vielleicht 11. Wichtig wäre, dass die Verteilung über das ganze Land funktionie­rt, auch wenn vereinzelt Großquarti­ere notwendig sein werden. Und budgetär haben wir bei Corona gesehen, dass fast alles möglich ist, wenn es sein muss.

Natürlich ist für eine (temporäre) Integratio­n viel zu tun, doch die Richtung auf den ersten Metern stimmt, wobei uns allen klar sein muss, dass die Hilfe ein langjährig­er Marathon werden kann. Doch wer einen Marathon erstmals geschafft hat, weiß, dass man danach mit sich selbst sehr glücklich sein kann.

LEITARTIKE­L

Hilfe kennt keine Bedingunge­n, das erkennt diesmal auch die ÖVP. Und im Gegensatz zu 2015 wird die Hilfswelle diesmal anhalten

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