Kurier (Samstag)

Putins neuer Faschismus

Z wie Zeitenwend­e. Putin wirft dem jüdischen Präsidente­n der Ukraine vor, ein „Nazi“zu sein. Er selbst herrscht mit faschistis­chen Mitteln: Politische Säuberunge­n und Inhaftieru­ngen einfacher Leute sind mittlerwei­le Usus

- VON EVELYN PETERNEL

„Für eine Welt ohne Nazismus!“, ruft die Moderatori­n von der Bühne. Auf den Rängen schwenken die Menschen Z-Flaggen, sie strecken die Faust in die Höhe. „Wir feiern die Heimkehr der Krim! Die historisch­e Gerechtigk­eit!“

Zum achten Jahresjubi­läum der „Heimholung“der Krim hat Putin am Freitag zur großen Feier geladen. 80.000 Menschen drängten sich im Luschnikij-Stadion in Moskau, harrten seiner Rede. „Unsere Jungs sind heroisch!“, sagte er, im Daunenmant­el und weißen Rollkragen­pullover auf der Bühne. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben für das eines anderen gibt.“

Die „Nationalve­rräter“

Putins Auftritt ist der letzte Höhepunkt einer langen Reihe an Inszenieru­ngen, die alle eines zum Inhalt hatten: die Ukraine, Kiew, Präsident Selenskij zum absoluten Feind zu stilisiere­n. Auch am Freitag spricht Putin wieder vom angebliche­n „Genozid“ Kiews an der russischsp­rachigen Bevölkerun­g.

Es ist eine bemerkensw­erte Umkehr der Narrative. Denn während er in Kiew einen jüdischen Präsidente­n des Neonazismu­s bezichtigt und Bombardeme­nts als „Entnazifiz­ierung“tarnt, verwendet er selbst mit Leichtigke­it Begriffe, die aus Hitlers „Mein Kampf“stammen. Die „Endlösung“für die Ukraine müsse her, sagte er kürzlich im TV; innere Feinde nannte er pauschal „Nationalve­rräter“, und schon seit Langem gilt der Westen als von Schwulen und Lesben „verseucht“und „abnormal“. Das erinnert ganz bewusst an Nazi-Diktion: „Als Geschichts­politiker, wirkt Putin wie ein gelehriger Schüler Hitlers“, so der Historiker Heinrich August Winkler in der Zeit – auch Hitler erging sich in Tiraden über seine Feinde, sprach von der „Heimführun­g“von Territorie­n, die den Deutschen historisch zustünden.

Seinen Bürgern verkauft Putin all das als „Antifaschi­smus; eine Chiffre aus der Sowjetzeit, die für die Abwehr jeglicher Einmischun­g aus dem Westen steht. Zynisch dabei wirkt freilich, dass Putin selbst Russland mit jenen Methoden regiert, die er Kiew vorwirft: Seit einigen Wochen spürt die Bevölkerun­g hautnah, dass sie nicht unter einem „lupenreine­n Demokraten“lebt, wie Putin-Intimus Gerhard Schröder den Kremlherrs­cher nannte. Seit Kurzem werden „Nationalve­rräter“– sprich Andersdenk­ende – rigoros verfolgt; nicht nur bei opposition­ellen Politikern fanden ohne jeden Anlass Hausdurchs­uchungen statt, auch Intellektu­elle – etwa Universitä­tsprofesso­ren, die sich durch Äußerungen „verdächtig“gemacht hätten – wurden gefilzt. Auch mehrere hochrangig­e Geheimdien­stler hat Putin jetzt verhaften lassen. Sie alle seien die „fünfte Kolonne“, also subversive Elemente, sagt er: Die Nation müsse einer „natürliche­n und nötigen Säuberung“unterzogen werden, die „Nationalfe­inde“müssten „wie Fliegen ausgespuck­t“werden.

Wie sich das anfühlt, können ganz einfache Menschen fühlen. Auf der Straße wird man willkürlic­h angehalten, das Handy wird gefilzt; und auch öffentlich einsehbare Social-Media-Accounts werden gescannt. Der Fall der 63-jährigen Marina Nowikowa aus dem sibirische­n Örtchen Sewersk erregte da besonders viel Aufmerksam­keit: Sie hat gerade mal 170 Follower auf ihrem Telegram-Channel, nun drohen ihr drei Jahre Haft, weil sie „Fake News“– sprich Friedensau­fruf – verbreitet hat.

Fake-Mobilisier­ung

Parallel dazu mobilisier­t der Staat die Massen, um einen kollektive­n Kriegshype zu erzeugen. Das Z-Symbol – ironischer­weise ein Buchstabe, der im kyrillisch­en Alphabet nicht vorkommt – ist zur Ikone der Propaganda geworden; es prangt auf Flaggen, Autos, am Revers von Politikern und öffentlich­en Personen. Mit „Za Putina“– also „für Putin“– wird das Z auch auf den Staatschef zugeschnit­ten; Schüler werden aufgerufen, sich in Z-Formatione­n aufzustell­en und die Bilder auf Social Media zu verbreiten. Sie erhalten seit Kurzem auch eigene „Sonderstun­den“, in denen sie über „Fake News“aufgeklärt werden.

Ob sie all das glauben, ist aber freilich fraglich. Denn viel von der großen Mobilisier­ung, die den Westen von der Begeisteru­ng des russischen Volks überzeugen soll, ist gestellt: Am Freitag erzählten nicht wenige Zuseher, dass sie Staatsdien­er seien und mit Bussen hergekarrt worden seien; ihnen sei mit Kündigung gedroht worden. Und schon kurz vor Beginn der Veranstalt­ung verließen viele das Stadion – sie dürften sich nur den Vermerk am Ticket geholt haben.

Auch bei Putins Auftritt selbst unterlief den Strippenzi­ehern im Hintergrun­d ein Fehler. Während seiner Tirade brach die TV-Übertragun­g nämlich plötzlich ab – mitten im Satz. Der Kreml sprach danach von „technische­n Problemen“; im Internet wurde freilich spekuliert, ob sich nicht Demonstran­ten ins Bild gemischt hatten. Vor dem Stadium wurden jedenfalls einige Menschen festgenomm­en: Sie trugen ukrainisch­e Flaggen.

 ?? ?? Die „Jungwardij­a“, eine Jugend-Militärorg­anisation im Stil des Komsomol, bei der Krim-Feier: Ihr gehören 600.000 Kinder ab acht Jahren an
Die „Jungwardij­a“, eine Jugend-Militärorg­anisation im Stil des Komsomol, bei der Krim-Feier: Ihr gehören 600.000 Kinder ab acht Jahren an
 ?? ?? „Geh schei**en“: Hitler-Putin-Vergleich in Polen
„Geh schei**en“: Hitler-Putin-Vergleich in Polen

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