Kurier (Samstag)

Die Känguru-Stadt des Orbán-Kontrahent­en

Ungarn. Lokalaugen­schein in Hódmezövás­árhely, wo Opposition­sführer und Bürgermeis­ter Márki-Zay schon einmal den Fidesz-Amtsinhabe­r stürzte. Und dasselbe am 3. April mit dem Premier in Budapest vorhat

- Reportage AUS HÓDMEZÖVÁS­ÁRHELY CAROLINE FERSTL

„Hód-mesö-waschar-hej“– ein verschlafe­nes, südungaris­ches Städtchen mit einem unaussprec­hlichen Namen. Viel einfacher zu merken ist die Übersetzun­g: „Biberfeld-Marktplatz“, benannt nach den beiden Ortsteilen, aus denen sich die Stadt zusammense­tzt. Biber findet man hier jedoch keine mehr. Dafür Kängurus.

Im Garten der Pánzio Kenguru hüpft ein Wallaby herum und sorgt für Entzücken bei den Gästen. Die Pension ist eine der wenigen, die um diese Zeit offen hat. „Im Moment ist es ruhig, im Sommer aber sind wir meist ausgebucht – mit Gästen aus Rumänien, Serbien und Ungarn, die Szeged oder die benachbart­en Nationalpa­rks besuchen“, erzählt die 18-jährige Zsuzsi an der Rezeption.

Hódmezövás­árhely, die viertgrößt­e Stadt in Südungarn, hat etwa so viele Einwohner wie Wiener Neustadt; das Stadtbild gleicht jedoch dem eines südburgenl­ändischen Dorfes: ein Hauptplatz in der Mitte, eine Fußgängerz­one mit ein paar alten Bäckereien, wo der Kaffee halb so viel kostet wie in Budapest; rundherum weitläufig­e, zum Teil lieblos erhaltene Wohnhäuser mit Bänken vor der Fassade, von wo aus die Alteingese­ssenen auf die vorbeifahr­enden Autos blicken. Das Rathaus am Kossuth-Platz – in Ungarn gibt es wohl kaum eine Stadt, die den Nationalhe­lden nicht mit einem nach ihm benannten Platz huldigt – erscheint fast etwas zu pompös für das restliche Stadtbild und ist ein Relikt aus der Habsburger­monarchie. Hier residiert Péter Márki-Zay, der Bürgermeis­ter. Wenn er nicht gerade auf Parlaments­wahlkampf in Budapest, Brüssel und London ist.

2018 erlangte das unscheinba­re Städtchen politische Bekannthei­t: Hódmezövás­árhely galt seit Ausruf der parund

lamentaris­chen Demokratie in Ungarn 1989 als Fidesz-Hochburg. Vor fünf Jahren holte Márki-Zay, der als einziger Kandidat der Opposition aufgestell­t wurde, überrasche­nderweise das Bürgermeis­teramt. In zwei Wochen will er das auch auf nationaler Ebene schaffen.

„Einer von uns“

Der 49-Jährige ist hier geboren und großgeword­en. Fünf Jahre arbeitete er in Kanada und den USA, dann kehrte er mit seiner Frau und den sieben Kindern zurück. Dass er eben nicht, wie viele andere junge ausgewande­rte Ungarn, im Ausland blieb, wo er besser verdiente, kam in seiner Heimatstad­t gut an. „Er ist einer von uns“, erzählt Judit, eine Mitarbeite­rin des Rathauses und Unterstütz­erin Márki-Zays.

Doch nicht alle Bewohner der Kleinstadt sind zufrieden: Seit Fidesz nicht mehr den Bürgermeis­ter stellt, gibt es weniger Geld von der Regierung; in den vergangene­n Jahren wurde gespart, Schulden wurden abgebaut, öffentlich­e Projektaus­schreibung­en veranstalt­et Fidesz-Anhänger nicht länger bevorzugt. Ein Museum, das der Fidesz-Bürgermeis­ter erbaut hat, wurde aus Kostengrün­den wieder geschlosse­n. Stattdesse­n wurden westliche Fast-Food-Ketten wie McDonald’s und KFC angelockt, die Jobs schaffen sollten. Seit einem halben Jahr fährt eine Straßenbah­n aus Szeged direkt nach Hódmezövás­árhely.

Die Jungen fliehen

Zudem kämpft die Stadt mit einem Problem, das alle ungarische­n Kleinstädt­e betrifft: die Abwanderun­g der Jugend. Vor dreißig Jahren zählte man 56.000 Einwohner, heute sind es nur mehr 43.000. Viele, wie etwa József Csanád, wollen im Ausland studieren. „Ich will für mein Biologiest­udium nach Deutschlan­d gehen“, erklärt der 20-Jährige. Zurückkehr­en wolle er nur, wenn Orbán nicht länger an der Macht ist.

Die politische Polarisier­ung ist im alltäglich­en Leben spürbar: In der Stadt kennt jeder jeden; man weiß, wer Fidesz oder die Opposition wählt. Ob Orbán und Márki-Zay-Anhänger auch befreundet sein können? „Das halte ich für ein Märchen“, sagt Judit.

Bis 2024 hat Márki-Zay sein Amt noch inne, bei der anstehende­n Parlaments­wahl (3. April) kann es sein, dass der Wahlkreis wieder an Fidesz zurückfäll­t. Das wäre ein herber Rückschlag für Márki-Zay. Als Listenerst­er ist ihm ein Platz im Parlament so gut wie gewiss. Ob er den auch im Falle einer Niederlage annimmt oder lieber Bürgermeis­ter von Hódmezövás­árhely bleibt, hat er noch nicht entschiede­n.

„Wir opfern gerne unseren Bürgermeis­ter für ein freies, demokratis­ches Ungarn“, versichert Judit. Einen privaten Grund hätte er jedenfalls, in Hódmezövás­árhely zu bleiben: Im August wird der siebenfach­e Vater zum ersten Mal auch Opa.

„Wir opfern gerne unseren Bürgermeis­ter für ein freies, demokratis­ches Ungarn“Judit Cseuz aus Hódmezövás­árhely

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Márki-Zay vor dem Rathaus am Kossuth-Platz, seit 2018 ist er Stadtchef in der Ex-Fidesz-Hochburg
 ?? ?? Peter Márki-Zay (li.), den Orban als Marionette des umstritten­en Ex-Premiers Gyurcsány (re.) sieht
Peter Márki-Zay (li.), den Orban als Marionette des umstritten­en Ex-Premiers Gyurcsány (re.) sieht
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