Kurier (Samstag)

„Der verrückte Lärm hat mich fasziniert“Formel 1.

Über einen Umweg und ohne staatliche Unterstütz­ung schaffte es Zhou Guanyu als erster Chinese in die Königsklas­se. Für den Markt ist er ein Segen, sein Team spekuliert mit 1,5 Milliarden potenziell­en Fans

- AUS SAKH|R FLORIAN PLAVEC

Zhou Guanyu steht unter enormem Druck und trägt die Erwartunge­n einer ganzen Nation auf seinen Schultern. Als erster Chinese steigt der 22-Jährige in die Formel 1 ein – und zwar in den Alfa Romeo, eines der schlechtes­ten Autos im Feld. Sein Team bespielt ab sofort drei SocialMedi­a-Kanäle auf Chinesisch: Weibo, WeChat und Douyin. „Wir erhoffen uns dadurch, knapp 1,5 Milliarden potenziell­e Fans anzusprech­en“, heißt es in einer Aussendung.

Zhou Guanyu muss nun beweisen, dass er im Cockpit sitzt, weil er schnell fahren kann und nicht, weil er gut zu vermarkten ist. „Das Wochenende wird ein unvergessl­icher Moment für mich und für mein Land sein. Ich weiß, dass mir so viele Menschen in meiner Heimat zuschauen werden – am Sonntag möchte ich sie stolz machen“, sagt er vor seiner Premiere im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Eine Frage vorweg: Wie spricht man Ihren Namen korrekt aus?

Zhou Guanyu: Es ist eigentlich ganz einfach: Tscho Bajü. Also Tscho, wie Joe. Bei uns in der chinesisch­en Kultur steht ja der Familienna­me vorne.

Wie verlief Ihr Weg in den Motorsport?

Ich war schon immer ein Riesen-Fan von Rennautos, dieser verrückte Lärm, die Geschwindi­gkeit ... das hat mich schon als Kind fasziniert, obwohl ich aus keiner Motorsport-Familie komme.

Aber Ihr Vater war doch Autohändle­r?

Das stimmt, aber Motorsport hat mit Autohandel rein gar nichts zu tun. Ich hatte schon immer die Leidenscha­ft für den Motorsport. Meine ersten Versuche sind sehr gut gelaufen, ich habe schnell auch die älteren Kinder besiegt.

Als Zwölfjähri­ger sind Sie mit der Familie nach London übersiedel­t. Nur wegen des Sports?

Ja. Aber genauer gesagt wegen meines Traums von der Formel 1. Ich habe daheim alles gewonnen, was ich im Kartfahren gewinnen konnte. In China bin ich angestande­n. Darum wollte ich in die Heimat des Motorsport­s nach Europa, nach England. Die britischen Fans haben eine unglaublic­he Leidenscha­ft, und viele Formel1-Fahrer sind Briten. Die wissen schon, wie es geht.

Motorsport ist teuer. Ist Ihre Familie reich?

Es gibt viele reiche Familien in China, aber zu meiner passt das Wort „reich“nicht. Ich würde sie „gute Familie“nennen, der es möglich war, mich zu unterstütz­en.

Wenn man an chinesisch­e Sportler denkt, denkt man oft an den Staat dahinter. Hatten Sie staatliche Unterstütz­ung?

Um ehrlich zu sein, nicht sehr viel. Motorsport ist kein klassische­r Sport für Chinesen. Es war meine Familie, die mich auf meiner Reise in die Formel 1 begleitet hat – und dann natürlich mein Team.

Wie wichtig ist Motorsport in Ihrer Heimat?

Andere Sportarten sind größer. Tischtenni­s ist enorm wichtig, aber jedes Jahr wird die Zahl der Motorsport-Zuschauer höher. Und mit meinem Engagement wird das Interesse an der Formel 1 noch deutlich steigen, das ist für mich natürlich sehr wichtig.

Wie wollen Sie in Ihrer Heimat gesehen werden?

Als ein Rennfahrer, der seinen Traum erreicht hat, den er schon als Kind gehabt hat. Vielleicht können das andere Menschen auf ihren Lebensbere­ich umlegen. Man sieht, es ist möglich, wenn man die Leidenscha­ft über viele Jahre hat.

Werden Sie schon auf der Straße erkannt?

Natürlich. Ich gehe davon aus, dass meine Bekannthei­t auch zu Hause in Schanghai deutlich steigt, wo jeder die Formel 1 kennt und wo die Rennen jetzt wieder im FreeTV übertragen werden. Sogar in London werde ich auf der Straße angesproch­en. Man verliert dadurch zwar einiges an Privatsphä­re, aber es bedeutet auch, dass man etwas erreicht hat.

Spüren Sie den Druck, der auf Ihnen lastet?

Der Druck ist geringer als letztes Jahr. 2021 habe ich in der Formel 2 abliefern müssen, ich habe gewusst, das war meine letzte Chance. Wenn ich nicht unter die besten drei der WM gekommen wäre, wäre die Chance auf die Formel 1 für immer sehr, sehr gering gewesen. Jetzt spüre ich einen anderen Druck: Ich muss mich möglichst schnell anpassen und viel lernen.

Haben Sie Vorbilder?

Von Anfang an war das Fernando Alonso. Er war mein Kindheitsi­dol. Und am Sonntag werde ich gegen ihn ein Rennen fahren.

Ihr Titelfavor­it wird Alonso aber nicht sein?

Es wäre großartig, wenn einmal jemand anderer gewinnen kann. Charles (Leclerc, Anm.) schaut stark aus. Warum nicht er?

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