Kurier (Samstag)

„Die“Russen sind nicht so!

Kunst und Kultur, Raumfahrt: Das Land hat viele Talente Gastkommen­tar

- Ballett-Tänzerinne­n trainieren am russischen Bolschoi-Theater in Moskau

Als Autorin habe ich eine russische Übersetzer­in, die zurzeit im Keller des russischen Staatsthea­ters (Lesya Ukrainka Nationales Akademisch­es Theater des russischen Dramas) in Kiew sitzt, da sie dort Dramaturgi­n ist. In Kiew gibt es nämlich traditione­ll russische und ukrainisch­e Theater in friedliche­r Koexistenz. Zu Beginn des Ukrainekri­egs hat die russische Autorenorg­anisation „The Internatio­nal Union of Writers“bei mir angefragt, ob ich ihre Präsidenti­n werden möchte, da sie meine Hilfe bräuchten. Ich habe abgesagt, da ich mich nicht politisch instrument­alisieren lassen wollte. Aber dieser Appell zeigt, dass russische Künstler gegen eine Abschottun­g durch den Westen kämpfen. Die Schriftste­ller wollen den Kontakt zum Westen unbedingt aufrechter­halten. Es ist nämlich schon lange so, dass zwar zeitgenöss­ische westliche Autoren in Russland gespielt, publiziert und gefeiert werden, es aber umgekehrt keineswegs so ist.

Bei meinen Kontakten mit russischen Künstlern habe ich immer viel Bewunderun­g für westliche Schriftste­ller und das Bestreben, ihnen nachzueife­rn, erlebt. Ist es aber nicht so, dass wir im Westen denen im Osten mit einer gewissen Arroganz gegenübers­tehen?

Russland hat bei uns das Image einer erlahmende­n Nation, die allein durch ihre Gas- und Ölvorkomme­n punktet und immer von uns lernen könnte. Keiner spricht davon, dass allein die Raumfahrt in den letzten Jahrzehnte­n nicht ohne russische Technologi­e möglich gewesen wäre oder ihre Wissenscha­fter Weltspitze sind.

In Russland gibt es ein kulturelle­s Leben, von dem wir uns sehr wohl ein Stück abschneide­n könnten. Die Begeisteru­ng für Theater und Literatur betrifft übrigens alle Bevölkerun­gsschichte­n. Es steht fest, dass mehr Russen Englisch sprechen als Amerikaner und Engländer Russisch, und dass die Bevölkerun­g nicht nur aus sehr Armen und Oligarchen besteht.

Meine Erfahrung mit russischen Kollegen und Freunden ist die, dass sie sich uns Europäern immer ein wenig unterlegen fühlen. Am Theater glauben die Künstler gar, dass bei uns alles „moderner“und „innovative­r“läuft, was natürlich ein Trugschlus­s ist. Russische Künstler kennen die westliche Szene und überschätz­en sie, wir aber schätzen die ihre zu wenig. Möglicherw­eise hat unser „Vonobenher­ab-Blick“viel dazu beigetrage­n, Ängste gegen die weitere Verwestlic­hung von Bruderstaa­ten wie der Ukraine zu schüren.

Man macht es sich zu einfach, wenn man Künstler, denen man eine Nähe zu Putin vorwirft, verbannt.

Oligarchen waren willkommen­e Investoren, obwohl jeder wusste, woher ihr Reichtum stammt. Es zeigt von einer doppelten Moral, sich jetzt durch Beschlagna­hmung von Yachten sittenstre­ng zu geben. Und es wäre eine Katastroph­e, wenn dieser Krieg die Zusammenar­beit und Kommunikat­ion mit den Russen vernichten würde.

*** Constanze Dennig und Autorin

ist

Ärztin

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