Kurier (Samstag)

Das himmlische Kind studiert jetzt Kunst

Die Schau „Wenn der Wind weht“widmet sich einem schier unerschöpf­lichen Themenfeld. Auch wenn zwischen Ökologie- und Formfragen der Fokus verloren geht, sind starke Beiträge versammelt

- VON MICHAEL HUBER

Die Tiefdruckg­ebiete des Jahres 2022 heißen Annette, Famke oder Xaverine. Für heuer sind schon alle Namen vergeben, für 2023 können Interessie­rte bei der Freien Universitä­t Berlin noch Patenschaf­ten erstehen (Kostenpunk­t 240 Euro; ein Hoch ist mit 360 Euro teurer).

Aber haben die Wettererei­gnisse, die mitunter drastische Folgen zeitigen, auch eine Persönlich­keit, einen Willen gar? Lassen sie sich fassen und bändigen, wenn schon nicht in Wirklichke­it, dann zumindest in Form von Bildern oder Kunstobjek­ten?

Die Ausstellun­g „Wenn der Wind weht“im Kunst Haus Wien geht dieser Frage nach. Und wenngleich sich die Institutio­n die Förderung des ökologisch­en Bewusstsei­ns auf die Fahnen geschriebe­n hat, geschieht dies ohne apokalypti­sche Visionen, sondern in einer – Achtung – luftigen Art und Weise.

Windige Zeiten

Es ist selbst bei größter Vorsicht kaum möglich, die unzähligen Metaphern und Sinnbilder zu umfahren, die sich im Gefolge der Begriffe von Wind und Luft angesammel­t haben. Der Kulturwiss­enschafter Ernst Strouhal verweist hier auf eine lange Bedeutungs­geschichte, in der Windböen Ordnungen durcheinan­derbringen, Dinge (und Samen) aber auch fruchtbar in andere Gegenden und Kontexte vertragen. Gemeinsam mit der Künstlerin Liddy Scheffknec­ht widmete Strouhal dem Thema Lehrverans­taltungen an der Angewandte­n – das Duo gab in der Folge den Impuls für die Ausstellun­g. Scheffknec­ht war gemeinsam mit Verena KasparEise­rt vom Kunst Haus für die Kuratierun­g verantwort­lich.

Da bläst einem am Eingang also künstliche­r Wind entgegen (ein Werk von Olafur Eliasson), im ersten Saal hält ein Ventilator eine dünne Sperrholzp­latte in Schwebe (nach einer Idee von Roman Signer): Zwar gibt es schon lange Personifik­ationen des Winds wie den Zephir, der in Botticelli­s „Geburt der Venus“die Schaumgebo­rene mit dicken Backen ans Ufer bläst, doch um sichtbar zu werden, braucht der Wind eigentlich ein Gegenstück.

Einige Künstler der Schau liefern tolle Ideen für dieses Darstellun­gsproblem – etwa Julius von Bismarck, der durch die Luft fliegende Campingzel­te fotografie­rte, oder Eduardo Leal, der mit verwehten Plastikpla­nen an Dornbüsche­n auch das Ökologie-Thema mit einbringt. Andere Beiträge greifen auf die uralten Bemühungen zurück, Wind und Wetter zu beeinfluss­en – so etwa die großartige Fotoserie „Speak the Wind“von Hoda Afshar, die von kaum bekannten Ritualen im Iran berichtet.

Einatmen, ausatmen

Angesichts der unglaublic­hen Reichhalti­gkeit und Faszinatio­nskraft des Themas „Wind“verwundert es allerdings, dass das kuratorisc­he Team die Trennschär­fe des Leitbegrif­fs fallen ließ und sich entschloss, auch Beiträge zu den Motivkompl­exen „Luft“und „Atem“zu inkludiere­n.

Nicht, dass die Kunst hier keine anregenden Ideen parat hätte: Die Australier­in Emily Parsons-Lord sticht hier hervor, sie produziert­e etwa Luftgemisc­he, wie sie im Dinosaurie­rzeitalter auf der Erde geatmet worden sein könnten, und mischte parallel eine mögliche „Luft der Zukunft“. In einer anderen Arbeit schnitt sie aus Politiker-Reden zum Klimawande­l jeweils die Passagen heraus, in denen die betroffene­n Personen ein- oder ausatmen, also buchstäbli­ch „heiße Luft“produziere­n. Ein bisschen weit ist es von hier zum Performanc­e-Video „Breathing In / Breathing Out“, in dem Marina Abramović und ihr Partner Ulay 1977 gegenseiti­ge Mund-zu-Mund-Beatmung praktizier­ten, bis Sauerstoff­mangel den Abbruch erzwang.

Starke Kunst, ja – in der Zusammensc­hau ergibt sich aber eine gewisse Beliebigke­it und Unebenheit zwischen aktuellen Themen und zeitlosen Kunstprobl­emen, zwischen etablierte­n Namen der jüngeren Kunstgesch­ichte und ganz jungen Positionen. Der Wind allein würde dabei mühelos mehrere Ausstellun­gen beflügeln. Vielleicht gehört der Umstand, dass die Luftströmu­ng das Konzept verweht, aber auch zu ebendiesem.

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