Kurier (Samstag)

Informatio­nskrieg. Als der Krieg der Bilder erfunden wurde

Die Anfänge dessen, was der ukrainisch­e Regierungs­chef perfekt kann, liegen im Ersten Weltkrieg. Seit damals gehören Propaganda­fotos, später Filme und Videos, ins Waffenarse­nal jedes Krieges

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K CHRISTA BREINEDER

Im Jänner die Dolomitenf­ront, im April die Isonzofron­t, Anfang Mai Galizien, Mitte Mai zurück an die Dolomitenf­ront und weiter nach Kärnten, Istrien, Isonzo sowie Ungarn. Karl gab den siegreiche­n Feldherrn. Ab 1917 reiste er ständig von Kriegsscha­uplatz zu Kriegsscha­uplatz. Auf Schritt und Tritt verfolgt von Filmkamera­s und Fotografen. Wenig später erschienen die Bilder im Interessan­ten Blatt, der auflagenst­ärksten Illustrier­ten der Monarchie.

Karl von Habsburg war der erste Medienkais­er. Und der Erste Weltkrieg gilt als erster Medienkrie­g der Geschichte. „Schon damals ging es darum, Meinungen stromlinie­nförmig zu machen“, sagt der Historiker Helmut Konrad.

„Im Ersten Weltkrieg erkannten Militärfüh­rung und Politik, dass große Kriege nur zu gewinnen sind, wenn man die Begeisteru­ng an der Heimatfron­t fördert und die Stimmung aufputscht“, erzählt Fotohistor­iker Anton Holzer.

Hintergrun­d: „Die privaten Medienunte­rnehmer waren damals sehr unzufriede­n mit den dürren Kommuniqué­s und vorgeferti­gten Siegesmeld­ungen, die vom Militär kamen. Sie wollten die breite Masse erreichen und Profit machen. Da sind Bilder natürlich deutlich leichter zu verkaufen als Texte.“

Franzosen und Amerikaner hatten längst begonnen, in Bildpropag­anda zu investiere­n, als Österreich­s Medien noch sehr skeptisch waren. Auch das Militär sträubte sich, wollte man doch keinesfall­s, dass sich Journalist­en vor Ort umschauen. Doch dann erkannten sie, dass sie ins Hintertref­fen kamen. Ab Frühjahr 1917 baute der Pressechef von Kaiser Karl, Karl Werkmann, die heimische Bildpropag­anda auf.

„Medien und Krieg hängen immer zusammen. Wenn man Feindbilde­r aufbauen und die eigene Überlegenh­eit propagiere­n will, braucht man Medien“, weiß Konrad. „Ich kann mir keine Kriege vorstellen, die ohne mediale Begleitung ihrer Zeit geführt worden wären. Es geht darum, den eigenen Mut und die Schwäche oder Hinterhält­igkeit des Gegners zu zeigen. Das zieht sich durch alle Kriege.“Holzer ergänzt: „Nur die Instrument­arien haben sich geändert“und nennt „vier große Phasen der Kriegsberi­chterstatt­ung“: Das 19. Jahrhunder­t, das noch ganz auf Texte fokussiert­e. Ab dem Ersten Weltkrieg kam der Bilderkrie­g, mit den 1950ern das Fernsehen und schließlic­h in den späten 1990ern das Internet.

Nichts ist zufällig

Mit den Neuen Medien, diagnostiz­iert Historiker Konrad, gab es auch einen Paradigmen­wechsel: „Der Informatio­nskrieg ist aktuell gigantisch und läuft auf allen Ebenen“. Zwei Präsidente­n im Fernduell: der eine unrasiert im TShirt erreicht die Welt via Handyvideo. Der andere tritt in DesignerDa­unenjacke, im gleichgesc­halteten Staatsfern­sehen auf und füllt Stadien. Beiden gemeinsam: Sie überlassen nichts dem Zufall.

Denn Bilder können stark in den Krieg eingreifen. Das hat sich schon im spanischen Bürgerkrie­g von 1936 bis 1939 gezeigt, im Zweiten Weltkrieg fortgesetz­t und Jahrzehnte später als kriegsmite­ntscheiden­d erwiesen. Wurden in den 1950ern die aus dem Koreakrieg heimkehren­den Soldaten noch als Helden empfangen, bekamen die Amerikaner mit dem neuen Medium Fernsehen verstörend­e Bilder vom Vietnamkri­eg in die Wohnzimmer geliefert. Die Heimkehrer waren plötzlich keine Helden mehr. Konrad: „Die Jugend brach als Kriegsunte­rstützer weg. Immer sind also auch Informatio­nen im Wettstreit. Wer schneller und drastische­r ist, gewinnt.“

Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Krieg und Pressefrei­heit natürliche Gegensätze sind. „Vor allem auf der Seite des

Aggressors­hatdiePres­sefreiheit immer rasch verloren“, sagt Historiker Konrad.

Das bedeutet auch, dass „dieInterna­tionalisie­rungderMed­ien in einem Krieg ganz enorm leidet, weil nationale Blöcke entstehen, die das verbreiten, was genehm ist. Nach dem Ersten Weltkrieg waren in Österreich von einem Tag auf den anderen keine ausländisc­hen Zeitungen mehr zu bekommen, nicht einmal französisc­he Modezeitsc­hriften“, erzählt Fotohistor­iker Holzer. „Und das passiert heute wieder. Wenn Putin Facebook und Instagram zensiert und ein staatliche­r Einheitsbr­ei entsteht, greift er auf alte Traditione­n zurück. Krieg zerstört Medienplur­alität.“Und danach? „Wenn der Krieg aus ist, kommt die mediale Normalität nicht so einfach zurück. Die Verwerfung­en sind da und sie bleiben da“. Bedeutet aktuell? „Tiktok und Telegram werden die Profiteure sein.“

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