Wahl. Serbiens Spagat zwischen Ost und West
Vučić ist die Wiederwahl am 3. April sicher. Was heißt das für Serbien?
Eine Menschenmenge, ausgestattet mit Anti-NATO-Plakaten und Putin-T-Shirts, steht vor der russischen Botschaft in Belgrad und skandiert: „Die Krim ist Russland, der Kosovo ist Serbien!“Fackeln werden gezündet, russische Fahnen geschwenkt.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić scheint seine Bevölkerung gut indoktriniert zu haben: Die Staatsmedien, die stärkste Waffe in seiner Propaganda-Maschinerie, zeigen seit Kriegsausbruch eindeutig, auf wessen Seite Serbien steht: „Russischer Schlag als Antwort auf NATO-Drohungen!“, titelte Novosti, und der Informer schrieb: „Die Ukraine hat Russland angegriffen!“
Trotzdem unterstützte Serbien die Resolution der UN-Vollversammlung, die Russlands Einmarsch in die Ukraine verurteilte. Seit zehn Jahren steht das Land nicht nur geografisch vor den Toren der Europäischen
Union; Vučić wird zu EUGipfeltreffen eingeladen und von europäischen Staatschefs hofiert – zuletzt besuchten ihn Bundeskanzler Karl Nehammer und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Gebetsmühlenartig werden die zehn Jahre alten EU-Beitrittsunterstützungserklärungen wiederholt.
Am 3. April werden in Serbien Präsidenten- und Parlamentswahlen abgehalten; Vučićs Wiederwahl gilt als sicher. Wie geht es danach weiter mit Serbien?
Wendiger Vučić
Es sei gerade dieser Spagat zwischen Ost und West, der Vučić im Amt halte und es der serbischen Opposition so schwer mache, ihn anzugreifen, erklärt SüdosteuropaExperte Florian Bieber von der Uni Graz: „Vučić umgibt sich mit demokratischen und autokratischen Regierenden. Er versucht, sich mit allen Großmächten gut zu stellen.“
Schon Vučićs Vorgänger suchten die Nähe zum Kreml; unter dem aktuellen Präsidenten hat die Verehrung Putins aber einen Höhepunkt erreicht: Mehrere serbische Städte haben dem Kremlchef die Ehrenbürgerschaft verliehen, 2017 hat sich ein südserbisches Dorf in „Putinovo“umbenannt. Immer mehr sympathisiert Vučić aber auch mit China: Während man zu Russland „nur“eine energiepolitische Beziehung hat, baut China das Straßen- und Schienennetz aus und lieferte in der Pandemie medizinische Ausrüstung und Impfstoffe. Zum Dank wurde in Belgrad ein gebäudegroßes Xi Jinping-Poster aufgehängt.
Dennoch geht es Serbien nicht besser als anderen, weniger autokratisch geführten Nachbarländern: Das Durchschnittsmonatsgehalt beträgt 300 Euro, die Inflation und Auslandsverschuldung ist überdurchschnittlich hoch, die Abwanderung unter Jungen enorm. Ein EUBeitritt scheint so weit weg wie nie: Nur mehr 30 Prozent der Serben sind dafür, vor zehn Jahren waren es noch 70 Prozent.
Der Anfang vom Ende?
Ob Serbien noch eine Demokratie ist, verneint der Experte: „Es gibt zwar Wahlen, eine Opposition und Medien, doch die sind eingeschränkt oder von Parteifreunden besetzt. Verfassungsgemäß hat der Präsident nicht mehr Kompetenzen als in Österreich. Doch Vučić ist allgegenwärtig, alle Entscheidungen laufen über ihn.“Demokratisierungsbestrebungen müssten aus der Bevölkerung kommen, ein Aufzwingen von außen funktioniere nicht. Die Allianz der Opposition bei den Wahlen sei ein erster Schritt, meint Bieber. Für möglich hält er einen Sieg in Belgrad: „Wie in Ungarn und der Türkei, wo die Hauptstädte schon in Oppositionshand sind, wäre das der erste Schritt, um die Dominanz Vučićs infrage zu stellen und die eigene Regierungsfähigkeit zu beweisen.“