Kurier (Samstag)

Aber nie gewonnen

Die Oscar-Nacht ist eine Nacht der Sieger. Doch ein Grüppchen herausrage­nder Schauspiel­er darf einfach nicht dazu gehören: |mmer gewinnt ein anderer. Vielleicht, weil es zum Gewinnen mehr als eine brillante Leistung braucht: eine Oscar-reife Marketingk­amp

- Von Alexander Kern

Samuel L. Jackson ist wütend. Und Samuel L. Jackson ist niemand, von dem man sich wünscht, dass er wütend ist. Zu lebhaft ist uns noch in Erinnerung, wie er als Profikille­r in „Pulp Fiction“seine Aufträge ausführte: Die 9-mm-Pistole, in deren Lauf so mancher im Tarantino-Film blickte, war da höchstens für einen Teil seiner furchteinf­lößenden Präsenz verantwort­lich. Denn wie er, bevor er den Abzug drückt, einen Bibel-Vers zitiert – „Der Pfad der Gerechten ist auf beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüch­tigen und der Tyrannei böser Männer!“: Himmel, zum Fürchten!

Vor kurzem gab Jackson also The Times ein Interview, und sein Zorn schien ähnlich biblisch – selbst wenn er dabei lächelte. „Ich hätte dafür einen Oscar gewinnen sollen“, so Jackson, und für seine Rolle in Spike Lees „Jungle Fever“gelte das Gleiche. Der Schauspiel­er ortet Rassismus. Schwarze würden vor allem dann gewinnen, wenn sie wieder einmal den Gangster markieren, wie Denzel Washington in „Training Day“. Dessen Heldendars­tellungen, wie die des „Malcolm X“, blieben dagegen eher unbelohnt. Jackson kann sich trösten: Nicht nur gehört er zu den bestbezahl­ten Schauspiel­ern der Welt. Eine Tatsache, die ihm äußerst bewusst ist. Er erhält, wenn am 27. März die

Oscars verliehen werden, auch den Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Wie immer eben, wenn die Academy ein schlechtes Gewissen hat. Jackson versprach, in seiner Dankesrede dennoch höflich zu bleiben.

Keine ging öfter leer aus

Was würde wohl Glenn Close an seiner Stelle dem Auditorium ausrichten? Würde sie cool bleiben, es sogar mit Humor nehmen? Oder würde sie der Academy einmal richtig die Meinung geigen? Nachvollzi­ehbar wäre es. Achtmal wurde die Schauspiel­größe bisher für den wichtigste­n Filmpreis der Welt nominiert. Gewonnen hat sie ihn kein einziges Mal.

Die 75-Jährige hält damit einen Rekord, den keiner will: Keine andere Frau ging in Hollywoods Nacht der Nächte öfter leer aus. Und das, obwohl die John-Irving-Adaption „Garp und wie er die Welt sah“, „Eine verhängnis­volle

Affäre“(der Film gewordene

Eine Schauspiel­größe, jedoch bislang ohne Oscar-Erfolg: Glenn Close

Albtraum aller Seitenspri­nger) oder „Gefährlich­e Liebschaft­en“Geschichte schrieben. „Ich habe mich niemals als Verliereri­n gesehen“, gestand Close kürzlich, „in meinen Augen sind alle, die nominiert werden, Gewinner. Viele Schauspiel­er dürfen diese Ehre niemals erleben, und auch sie sind keine Verlierer.“Gut möglich, dass diese neidlose Pose gut eingeübt ist. Neid, das weiß man, gilt in Hollywood nicht als Laster, sondern als Tugend. Oder Close hat sich tatsächlic­h einen gewissen Gleichmut antrainier­t. Ähnlich ist es bei Amy Adams. Tolle Rollen spielte sie (abgesehen vom nervtötend­en „Enchanted“, doch Schwamm drüber), von der scheuen Nonne in „Glaubensfr­age“bis zur Trickbetrü­gerin in „American Hustle“. Ihre sechs Niederlage­n trägt sie mit Fassung. Gut möglich, dass Adams – im Gespräch smart, aber zurückhalt­end – sich als Gewinnerin mit Gloriensch­ein zu wenig aufdrängt. Dass sie der Academy zu subtil ist, zu wenig Schlagzeil­e. Gefühlt ist sie ja längst mit einem Oscar ausgezeich­net. Wie etliche andere

freizeit.at |

auch: Wer hätte gedacht, dass Edelmimen wie Ed Harris oder John Malkovich noch keinen Goldbuben in der Hand hielten? Tatsächlic­h war der eine viermal, der andere zweimal nominiert. Edward Norton („Birdman“) kommt auf drei Nominierun­gen. Sigourney Weaver („Aliens“) ging dreimal leer aus, ebenso wie die Herren Tom Cruise und Johnny Depp. Und dass Filmgöttin Michelle Pfeiffer („Die fabelhafte­n Baker Boys“) bei drei Chancen noch nie einen Oscar erhielt, ist eigentlich unverzeihl­ich.

Für alle gilt: Immer schien ein anderer da zu sein, an dem es am betreffend­en Abend kein Vorbeikomm­en gab. Dessen Filmstoff aktueller, vielleicht zeitgeisti­ger erschien; die Gelegenhei­t, sie oder ihn auszuzeich­nen, eine einmalige Gelegenhei­t zu sein versprach – während man sich dachte, eine Michelle Williams oder Annette Bening

(je vier Nominierun­gen), die würden ihren Oscar schon noch erhalten.

Mit Rufmord zum Sieg

Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die den Oscar vergibt, ist berühmt-berüchtigt für ihre Irrungen und Wirrungen. Das Kunststück, Genies der Filmgeschi­chte zu ignorieren, gelingt ihr öfter: Peter O’ Toole („Lawrence von Arabien“) wurde achtmal erfolglos noTrostpre­is miniert, bis man ihm 2003 den – einen Ehrenoscar – zusprach. „Immer die Brautjungf­er, nie die Braut!“, witzelte er. Alfred Hitchcock wurde fünfmal als bester Regisseur erwogen, blieb aber ebenso ohne Preis wie „Barry Lyndon“-Macher Stanley Kubrick (viermal). Auch „Hitch“erhielt (wie Charlie Chaplin, den man gar nie für den Regie-Preis in Betracht gezogen hatte) einen Oscar für sein Lebenswerk. Der Brite hielt die kürzeste Oscar-Rede aller Zeiten: „Danke“, sagte er – und ging. Auch so kann man seinem Frust Ausdruck verleihen. Enttäuschu­ngen bringen Preise immer mit sich. Bradley Cooper hoffte heuer wohl auf seine vierte Nominierun­g (für „Licorice Pizza“). Daraus wurde nichts. Die größte Überraschu­ng war jedoch, dass Lady Gagas Leistung in „House of Gucci“unberücksi­chtigt blieb – obwohl sie heftig dafür geworben hatte. Denn, das ist wichtig zu wissen: Wer nominiert wird und wer gewinnt, wird wie im Wahlkampf ausgefocht­en. Strategen sind damit beauftragt, Millionen werden dafür ausgegeben, alle Tricks aufgeboten.

Ein Narrativ wird aufgesetzt, das die Gewinnchan­cen eines Films vergrößern soll. Filme werden etwa als aktuell besonders gesellscha­ftlich relevant verkauft, Inserate helfen dabei. Die Schauspiel­er touren durch die Talkshows, geben Interviews. Um eine Nominierun­g zu erreichen, wird versucht, einen Hype zu erzeugen, auch durch Partys und Screenings, bei denen die am Film Beteiligte­n Rede und Antwort stehen. Den Academy-Mitglieder­n, denen nachgesagt wird, sie würden mitunter gar nicht alle Filme sichten, soll durch all das klargemach­t werden: Diesen Film oder jene Performanc­e dürfe man dieses Jahr auf gar keinen Fall verpassen. Zwischen drei und zehn Millionen US-Dollar kann so eine Kampagne kosten. Auch auf schmutzige Tricks wird gesetzt. Als Urheber der bösartigst­en Kampagne gilt Produzent Harvey Weinstein, derzeit als Sexualstra­ftäter im Gefängnis. 1999 galt der Tom Hanks-Kriegsfilm „Saving Private Ryan“als sichere Oscar-Bank. Bis Weinstein eine enorm aggressive Kampagne für „Shakespear­e in Love“lostrat. Mit Dreistigke­it, Lobbying und schlechter Nachrede gelang ihm das scheinbar Unmögliche: Die harmlose Liebeskomö­die mit Gwyneth Paltrow gewann als Bester Film – Kritikerli­ebling „Saving Private Ryan“ging leer aus. Eine höchst kontrovers­e Überraschu­ng. Und eine, die die meisten Academy-Mitglieder heute laut „Hollywood Reporter“bitter bereuen.

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