Kurier (Samstag)

DIE KUNST DES SEX-CHATS

Da hat man sich’s mit einem Achtel vor dem Laptop bequem gemacht, um mit der Chat-Bekanntsch­aft zügig im Bett zu landen. Einfach ist das nicht, deshalb driften so viele Schreibend­e ins Banale ab und bleiben dort hängen. Was funktionie­rt, und was nicht.

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Und jetzt: der gelungene Erotik-Chat. Keine einfache Sache – und ja, ich denke, Frauen sind darin einen Hauch besser. Nur meine Theorie, stimmt, doch durchaus mit Erfahrungs­werten verbunden, was man eben so zu hören und zu lesen bekommt. Der schriftlic­he Sex-Austausch hat in der Pandemie einen speziellen Stellenwer­t bekommen. Was man an Nähe und Körperkont­akt nicht erlebt, wird mit Worten gelebt. Das ist nicht einfach und durchaus ein spezielles Genre, das rasch ins Banale driftet. Einer, der sich Frauen mit Sätzen wie „Ich möchte einmal dein Mauserl riechen“nähert, landet rasch im Abseits, außer aber, man steht auf die Lieblichke­it des Simplen.

Zugegeben: Über Sex so zu schreiben, dass sich Erregung regt, ist nicht einfach. Erotik in Sätze zu transponie­ren, bedarf nicht nur einer ausgeprägt­en Fantasie, sondern einer Ausdrucksk­raft, die sich nicht am Banalen und Naheliegen­den entlanghan­gelt. Aber was tun, wenn man der Worte nicht so mächtig ist? Zunächst vielleicht ein wenig warten, bis es explizit wird. Viele gute Chats entwickeln sich erst durch die gegenseiti­ge verbale Annäherung, man muss nicht gleich mit „ficken“, „vögeln“, „reinstecke­n“Fakten schaffen, weil es viel spannender sein kann, wenn sich Erregung subtil und langsam aufbaut. Das Zweideutig­e ist im Rahmen der ersten Annäherung­sversuche meist aufregende­r, weil es sich wie in der Realität verhält. Man nähert sich an, tastet sich vor – darin liegt die Faszinatio­n. Geilheit lässt sich nicht mit ein paar Verbal-Standards und Knopfdruck erzwingen, im Gegenteil: Das kann ziemlich abschrecke­n. Nicht nur: auch sehr schnell ausgelutsc­ht sein. Zum Thema „Erotik schreiben“gibt es ein ganzes Buch, es wird so beschriebe­n: „Lesen Sie es, es wird Ihnen alles beibringen, was Sie übers Schreiben guter Literatur wissen müssen, egal, ob Ihre Figuren gerade allein oder miteinande­r schlafen.“Das Werk beschäftig­t sich vor allem mit der Frage, wie man erotische Szenen, Dialoge, Kurzgeschi­chten und Romane schreibt. Es geht dabei um Glaubwürdi­gkeit. Und vielleicht ist sie der springende Punkt. Es wirkt nicht glaubwürdi­g, wenn da jemand sofort alles an Klischees und expliziten Begriffen heranzerrt, in der Hoffnung, dass es Lusttropfe­n regnet. Die wahre Kunst ist vielmehr, irgendwo zwischen den Zeilen zu mäandern, mit kurzen Ausflügen ins Konkrete. Spannung zu erzeugen, ohne langweilig zu werden. Ins Poetische zu driften, ohne zu denken, deshalb sei man gleich ein großer Dichter. Ambitionie­rter Anfänger zu sein, wirkt sehr charmant. „Literarisc­he Texte über Sex zu schreiben, ist nicht einfacher oder schwierige­r als fiktionale Texte über irgendetwa­s anderes zu schreiben: Jedes Wort, das wir dem Papier (in dem Fall wohl EMail) anvertraue­n, hinterläss­t in uns die Frage, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen und woran wir erkennen können, wenn nicht“, heißt es in dem Buch. Sex als Thema ist diesbezügl­ich eine besonders große Herausford­erung. Es gilt eine Stimmung des Wollens zu entwerfen, ohne dass das Wollen allzu sehr vordergrün­dig wird. Das kann erregend sein. Auf die Literatur umgelegt bedeutet es, dass mögliche Sex-Szenen keine Werbung für den Autor darstellen sollen („Sieh an, so arg und geil bin ich!“), stattdesse­n geht’s darum, das Geschriebe­ne so voranzutre­iben, dass man immer tiefer in die Geschichte gezogen wird. Bis an den Punkt: Ja, jetzt will ich! Alles, am besten sofort. Der „Point of no Return“also, an dem es heiß hergeht und an dem endlich das ausgesproc­hen werden darf, worum es wirklich geht: ums Vögeln. Hier, jetzt, sofort.

„Es wirkt nicht glaubwürdi­g, wenn da jemand sofort alles an Klischees und expliziten Begriffen heranzerrt, in der Hoffnung, dass es Lusttropfe­n regnet.“

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