Ein Hilferuf in der Hotelbar und ein „surrealer“Boykott
Kanzler Karl Nehammer traf in Berlin Wladimir Klitschko und den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck
Zeitgleich mit Kanzler Karl Nehammer hielten sich die Brüder Vitali und Wladimir Klitschko in Deutschland auf. Sie waren aus Kiew angereist – Vitali Klitschko ist dort Bürgermeister –, um an die deutsche Industrie zu appellieren, keine Geschäfte mit Russland zu machen.
Spätnachts am Donnerstag bekam Nehammer Besuch in der Hotelbar. ExBoxweltmeister Wladimir Klitschko schaute vorbei, um sich für die Hilfe aus Österreich zu bedanken und zu appellieren, nicht nachzulassen.
„Wir brauchen noch mehr.“Österreich hat – zusätzlich zur Flüchtlingsaufnahme – Helme und kugelsichere Westen in die Ukraine gesandt.
Beim Boykott russischer Energie bleiben die deutsche und die österreichische Regierung allerdings auf ihrer eingeschlagenen Linie: Es wird keinen geben. Das wurde am Donnerstag beim Besuch Nehammers beim deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigt, und auch am Freitag nach dem Gespräch beim grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. „Die Frage eines Boykotts stellt sich nicht, ein Boykott ist völlig surreal. Das würde Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und Österreich bedeuten. Keiner von uns wünscht sich diese Situation, aber die Abhängigkeit von russischem Gas ist eine Tatsache“, sagte Nehammer.
Auch die Abkehr davon werde nicht einfach, und vor allem nicht von heute auf morgen möglich sein. Man müsse Terminals für Flüssiggas in Häfen der Nord- und Ostsee bauen und die Pipelines zum Transport nach Österreich. Auch für den Umstieg auf Erneuerbare seien gewaltige Infrastrukturprojekte zu verwirklichen. „Russisches Gas war billig. Das heißt, es hat Wohlstand geschaffen. Eine Abkehr, auch hin zu erneuerbarer Energie, wird Wohlstand kosten“, sagte Nehammer. Und man werde mit dem Koalitionspartner über die Beschleunigung von Bauvorhaben reden müssen. Als frühestmöglicher Zeitpunkt für die Fertigstellung eines Flüssiggasterminals in Deutschland gilt 2026.
Bis dahin suchen die EULänder nach Überbrückungsmöglichkeiten. Damit sie sich nicht gegenseitig die Preise in die Höhe treiben, arbeitet die EU-Kommission an einem Vorschlag für gemeinsamen Einkauf (wie beim Corona-Impfstoff). Nehammer sieht da ein Problem: Käufer seien nicht Staaten, sondern Firmen. Auch die derzeitigen Lieferverträge seien nicht zwischen Russland und Österreich, sondern zwischen der OMV und Gazprom abgeschlossen und laufen noch bis 2040. Insofern warte er einmal ab, ob Gazprom überhaupt versuchen werde, den Vertrag zu ändern. Dort sei nämlich Bezahlung in Euro fixiert, nicht in Rubel, wie Putin das will.