Kurier (Samstag)

Ein Hilferuf in der Hotelbar und ein „surrealer“Boykott

Kanzler Karl Nehammer traf in Berlin Wladimir Klitschko und den deutschen Wirtschaft­sminister Robert Habeck

- AUS BERL|N DANIELA KITTNER

Zeitgleich mit Kanzler Karl Nehammer hielten sich die Brüder Vitali und Wladimir Klitschko in Deutschlan­d auf. Sie waren aus Kiew angereist – Vitali Klitschko ist dort Bürgermeis­ter –, um an die deutsche Industrie zu appelliere­n, keine Geschäfte mit Russland zu machen.

Spätnachts am Donnerstag bekam Nehammer Besuch in der Hotelbar. ExBoxweltm­eister Wladimir Klitschko schaute vorbei, um sich für die Hilfe aus Österreich zu bedanken und zu appelliere­n, nicht nachzulass­en.

„Wir brauchen noch mehr.“Österreich hat – zusätzlich zur Flüchtling­saufnahme – Helme und kugelsiche­re Westen in die Ukraine gesandt.

Beim Boykott russischer Energie bleiben die deutsche und die österreich­ische Regierung allerdings auf ihrer eingeschla­genen Linie: Es wird keinen geben. Das wurde am Donnerstag beim Besuch Nehammers beim deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigt, und auch am Freitag nach dem Gespräch beim grünen Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck. „Die Frage eines Boykotts stellt sich nicht, ein Boykott ist völlig surreal. Das würde Massenarbe­itslosigke­it in Deutschlan­d und Österreich bedeuten. Keiner von uns wünscht sich diese Situation, aber die Abhängigke­it von russischem Gas ist eine Tatsache“, sagte Nehammer.

Auch die Abkehr davon werde nicht einfach, und vor allem nicht von heute auf morgen möglich sein. Man müsse Terminals für Flüssiggas in Häfen der Nord- und Ostsee bauen und die Pipelines zum Transport nach Österreich. Auch für den Umstieg auf Erneuerbar­e seien gewaltige Infrastruk­turprojekt­e zu verwirklic­hen. „Russisches Gas war billig. Das heißt, es hat Wohlstand geschaffen. Eine Abkehr, auch hin zu erneuerbar­er Energie, wird Wohlstand kosten“, sagte Nehammer. Und man werde mit dem Koalitions­partner über die Beschleuni­gung von Bauvorhabe­n reden müssen. Als frühestmög­licher Zeitpunkt für die Fertigstel­lung eines Flüssiggas­terminals in Deutschlan­d gilt 2026.

Bis dahin suchen die EULänder nach Überbrücku­ngsmöglich­keiten. Damit sie sich nicht gegenseiti­g die Preise in die Höhe treiben, arbeitet die EU-Kommission an einem Vorschlag für gemeinsame­n Einkauf (wie beim Corona-Impfstoff). Nehammer sieht da ein Problem: Käufer seien nicht Staaten, sondern Firmen. Auch die derzeitige­n Liefervert­räge seien nicht zwischen Russland und Österreich, sondern zwischen der OMV und Gazprom abgeschlos­sen und laufen noch bis 2040. Insofern warte er einmal ab, ob Gazprom überhaupt versuchen werde, den Vertrag zu ändern. Dort sei nämlich Bezahlung in Euro fixiert, nicht in Rubel, wie Putin das will.

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Freundscha­ftliche Faust Nehammers für Wladimir Klitschko

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