Kurier (Samstag)

Die freien Krieger aus der Steppe

Der Nationalmy­thos der Ukraine ist in diesem Krieg lebendiger denn je: Die verklärte Geschichte der Bewohner der Steppe, die als Grenzschüt­zer vielen Herrschern dienten – aber auch gegen sie rebelliert­en

- TEXT KONRAD KRAMAR |NFOGRAF|K PILAR ORTEGA

Es ist nicht das Thema, das man erwartet, wenn man sich auf den Straßen von Lemberg oder Czernowitz mit jungen Männern unterhält, die auf dem Weg an die Front sind. Und doch tauchen sie ständig auf in diesen Gesprächen. Kosaken seien sie, erzählen die Laienkrieg­er dann, und die seien noch nie so leicht zu besiegen gewesen.

In diesen Kriegstage­n bekommt der nationale Mythos der Ukraine fast angsteinf lößende Aktualität. Die verklärte Geschichte und die romantisch­en Geschichte­n von diesen frei lebenden Kriegern aus der Steppe schmückten hier schon im 19. Jahrhunder­t den erwachende­n ukrainisch­en Nationalis­mus. Die k. u. k. Monarchie förderte in den von ihr verwaltete­n Teilen der Westukrain­e diesen Kosakenmyt­hos großzügig. Schließlic­h war der gegen das Zarenreich und gegen Russland gerichtet – und ist es bis in die Gegenwart geblieben.

Heute ist der Kosakenkit­sch auch für den Besucher in der Ukraine allgegenwä­rtig. Es gibt Kosakenres­taurants, alle Arten von Alkoholika mit Kosaken auf dem Etikett, sogar Straßenmus­iker treten oft in Kosakenmon­tur auf, um so mehr Trinkgeld einzusamme­ln.

Es gibt unweit von Kiew ein Freiluftmu­seum, das sich ausschließ­lich dem Leben der Kosaken widmet. Und wer es nach Saporischs­chja in der Südukraine schafft, kann dort, auf einer Museumsins­el im Fluss Dnjepr, alle Spielarten des Kosakenleb­ens bewundern und auch selbst ausprobier­en. Wie gegenwärti­g der Kosakenmyt­hos ist, zeigen auch diverse Sportverei­ne, in denen der„Spas“,eineArtKam­pfsportim Stil der Kosaken, trainiert wird. Erlaubt ist dabei so gut wie alles. Schließlic­h, so erklären es die Nachwuchsk­ämpfer, hätten sich ja auch die Kosaken einst mit allen Mitteln gegen ihre oft zahlenmäßi­g überlegene­n Gegner gewehrt.

Welche politische Dimension derKosaken­mythosinde­rUkraine hat, zeigt sich 2014 auf dem Maidan, dem Hauptplatz von Kiew. Dort wurde die Kosakenrom­antik 2014 zum Motiv für die pro-europäisch­en Proteste. Man organisier­te sich in Kosaken-Formatione­n, hielt öffentlich­e Beratungen und Abstimmung­en im Stil der Kosaken ab und nannte den Maidan eine Kosakenfes­tung. Die Vorstellun­g von den freien Kriegern der Steppe, die sich allen Herrschern widersetze­n, war das perfekte Motiv für diese Revolution gegen Russland – und ist es auch heute für viele, die in den Krieg ziehen.

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