Die freien Krieger aus der Steppe
Der Nationalmythos der Ukraine ist in diesem Krieg lebendiger denn je: Die verklärte Geschichte der Bewohner der Steppe, die als Grenzschützer vielen Herrschern dienten – aber auch gegen sie rebellierten
Es ist nicht das Thema, das man erwartet, wenn man sich auf den Straßen von Lemberg oder Czernowitz mit jungen Männern unterhält, die auf dem Weg an die Front sind. Und doch tauchen sie ständig auf in diesen Gesprächen. Kosaken seien sie, erzählen die Laienkrieger dann, und die seien noch nie so leicht zu besiegen gewesen.
In diesen Kriegstagen bekommt der nationale Mythos der Ukraine fast angsteinf lößende Aktualität. Die verklärte Geschichte und die romantischen Geschichten von diesen frei lebenden Kriegern aus der Steppe schmückten hier schon im 19. Jahrhundert den erwachenden ukrainischen Nationalismus. Die k. u. k. Monarchie förderte in den von ihr verwalteten Teilen der Westukraine diesen Kosakenmythos großzügig. Schließlich war der gegen das Zarenreich und gegen Russland gerichtet – und ist es bis in die Gegenwart geblieben.
Heute ist der Kosakenkitsch auch für den Besucher in der Ukraine allgegenwärtig. Es gibt Kosakenrestaurants, alle Arten von Alkoholika mit Kosaken auf dem Etikett, sogar Straßenmusiker treten oft in Kosakenmontur auf, um so mehr Trinkgeld einzusammeln.
Es gibt unweit von Kiew ein Freiluftmuseum, das sich ausschließlich dem Leben der Kosaken widmet. Und wer es nach Saporischschja in der Südukraine schafft, kann dort, auf einer Museumsinsel im Fluss Dnjepr, alle Spielarten des Kosakenlebens bewundern und auch selbst ausprobieren. Wie gegenwärtig der Kosakenmythos ist, zeigen auch diverse Sportvereine, in denen der„Spas“,eineArtKampfsportim Stil der Kosaken, trainiert wird. Erlaubt ist dabei so gut wie alles. Schließlich, so erklären es die Nachwuchskämpfer, hätten sich ja auch die Kosaken einst mit allen Mitteln gegen ihre oft zahlenmäßig überlegenen Gegner gewehrt.
Welche politische Dimension derKosakenmythosinderUkraine hat, zeigt sich 2014 auf dem Maidan, dem Hauptplatz von Kiew. Dort wurde die Kosakenromantik 2014 zum Motiv für die pro-europäischen Proteste. Man organisierte sich in Kosaken-Formationen, hielt öffentliche Beratungen und Abstimmungen im Stil der Kosaken ab und nannte den Maidan eine Kosakenfestung. Die Vorstellung von den freien Kriegern der Steppe, die sich allen Herrschern widersetzen, war das perfekte Motiv für diese Revolution gegen Russland – und ist es auch heute für viele, die in den Krieg ziehen.