Kurier (Samstag)

Eine Investitio­n für 50 Jahre

Boehringer Ingelheim. Wie der Pharmakonz­ern in Österreich energieaut­arker werden will und welche Folgen ein Gas-Stopp hätte

- VON ANITA STAUDACHER Boehringer-Generaldir­ektor Philipp von Lattorff

Der KURIER sprach mit Boehringer-Ingelheim-Generaldir­ektor Philipp von Lattorff über das Mega-Projekt in NÖ, die Folgen der Gas-Krise und warum es einen Profi fürs Krisenmana­gement braucht.

KURIER: Bruck setzte sich im globalen Wettbewerb gegen Standorte in Deutschlan­d, Spanien und USA durch. Was gab den Ausschlag?

Philipp von Lattorff: Das war ein langer Prozess. Ein starkes Argument für uns war, dass wir dieselbe Produktion ja schon in Wien haben, es quasi eine Kopie des Wiener Werks ist.

Warum wurde nicht gleich in Wien größer gebaut?

Die Nachfrage nach Biopharmaz­eutika wächst stärker als gedacht. Zwei Werke parallel zu errichten hätten wir in Wien nicht geschafft und der Standort in Meidling ist auch zu klein für eine weitere Produktion­sanlage. Deshalb mussten wir uns nach einem neuen Standort umschauen. Sowohl Wien, Niederöste­rreich als auch das Burgenland haben sich sehr darum bemüht. In NÖ haben wir dann sehr rasch alles gefunden, was wir brauchen, in Wien hätten wir eine so große Fläche in der Geschwindi­gkeit nicht geschafft.

Gibt es noch Hürden bezüglich Genehmigun­gen oder Auflagen?

Damit rechnen wir nicht. Es wird ein grünes Vorzeigepr­ojekt. Wir werden vom ersten Tag an CO2-neutral sein mit einem Mix an Alternativ­energie wie Biogas, Windkraft und Fotovoltai­k.

Damit sind sie auch unabhängig­er von Russen-Gas?

Das war zunächst nicht das primäre Ziel, weil das Projekt vor dem UkraineKri­eg gestartet wurde. Jetzt ist der Nebeneffek­t zum Haupteffek­t geworden. Wir sind auch gerade dabei, unser Wiener Werk umzustelle­n, um bis 2025 CO2-neutral zu sein und Erdgas durch Biomasse zu ersetzen. In Bruck heizen wir mit Hackschnit­zel.

Derzeit sind sie aber noch stark abhängig vom Gas. Was wäre, wenn Russland die Lieferunge­n einstellt?

Da hätten wir alle ein Problem. Wir haben zwar Reserven und Dieselaggr­egate als Backup, aber nur für eine bestimmte Zeit. Daher wäre es so wichtig, dass es endlich einen Krisenmana­ger für die Gasversorg­ung im Bundeskanz­leramt gibt. Wir fordern in der IV ja einen eigenen Staatssekr­etär für das Krisenmana­gement.

Was soll diese Person können bzw. tun?

Wenn es eine Krise gibt brauch ich einen Profi, der sie managt und sagt, was Sache ist, also Strategien entwickelt, Konzepte vorschlägt und Verhandlun­gen

führt. Wir haben im Unternehme­n auch Profis fürs Krisenmana­gement, die einem sagen, was zu tun ist.

Soll die Pharma- wie die Lebensmitt­elindustri­e im Falle einer Gaskrise prioritär behandelt werden?

Wir sind systemrele­vant und müssen so lange wie möglich weiterprod­uzieren können, denn es hängt das Leben vieler Patienten dran.

Wie schwierig wird es, die 800 Mitarbeite­r zu finden? Bruck liegt im Einzugsgeb­iet Wien, Niederöste­rreich,

Burgenland, Slowakei und Ungarn. Das und eine gute Verkehrsan­bindung machen uns optimistis­ch, dass wir die 800 auch finden werden.

Sie steuern von Wien aus auch die Märkte in der Ukraine und Russland. Wie ist die aktuelle Situation dort?

Wir haben 100 Beschäftig­te in der Ukraine und 700 in Russland. Für die Mitarbeite­r in der Ukraine haben wir in Lemberg ein Hotel gemietet, wo sie nun untergebra­cht sind. Die Medikament­enversorgu­ng in der Ukraine stockt derzeit. Wir haben zwar genug Ware, aber es gibt ein Verteilung­sproblem. Es hat auch nur jede dritte Apotheke geöffnet.

Ist ein Rückzug aus Russland geplant?

Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Patienten müssen ja mit Arzneimitt­el versorgt werden. Wir konzentrie­ren uns auf den Vertrieb ohne Marketing, bis dato wird auch noch normal bezahlt. Alle geplanten Investment­s, Kooperatio­nen und klinischen Studien wurden auf Eis gelegt.

Wurde die Corona-Pandemie richtig gemanagt?

Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Am Anfang hätte man die Krise besser managen können und einen eigenen Staatssekr­etär als Krisenmana­ger ernennen können. Das Problem war ja oft nicht ein medizinisc­hes, sondern ein logistisch­es. Da wäre als Krisenmana­ger ein Militärexp­erte wie in Deutschlan­d eine Idee.

Newspapers in German

Newspapers from Austria