Kurier (Samstag)

Die EU-Krisenmana­gerin

Ursula von der Leyen führt Europa durch turbulente Zeiten Gastkommen­tar

- Ursula von der Leyen: Die Präsidenti­n der EU-Kommission eilt von einer Baustelle zur nächsten

Der Weg Ursula von der Leyens an die Spitze der EU-Kommission war komplizier­t. Als sich nach den Europawahl­en 2019 keiner der EU-Spitzenkan­didaten eine Mehrheit des Europäisch­en Rates und des EUParlamen­ts sichern konnte, war sie die Überraschu­ng im Ring. Von den EU-Staatsund Regierungs­chefs einstimmig nominiert, geriet ihre Wahl im EU-Parlament letztlich zu einer knappen Angelegenh­eit. Aber seitdem läuft von der Leyen einen europäisch­en Krisenmara­thon nach dem anderen und macht Tempo, ohne außer Atem zu kommen. Der Brexit muss verkraftet werden. Mit dem Konditiona­litätsmech­anismus, der Verstöße gegen die Rechtsstaa­tlichkeit ahnden und die ordnungsge­mäße Verwendung von EU-Mitteln in den Mitgliedst­aaten gewährleis­ten soll, wird die EU – die Feuerprobe steht noch aus – neues Terrain betreten. Jedenfalls machte der diesbezügl­iche Kompromiss, der ein Abgehen von der Einstimmig­keit ermöglicht, den Weg frei für die Einigung auf den nächsten EU-Haushalt und den Corona-Aufbaufond­s. Beide Instrument­e zusammen stellen mit 2018

Milliarden Euro das größte EU-Konjunktur­paket, das je finanziert wurde, sollen die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie abfedern, ein grüneres, digitalere­s und krisenfest­eres Zeitalter einläuten und ermögliche­n es der EUKommissi­on, erstmals gemeinsame Anleihen in großem Stil zu begeben.

Darüber hinaus wurden EU-Fiskalrege­ln ausgesetzt, um den Mitgliedst­aaten weiteren finanziell­en Spielraum zu geben, wettbewerb­srechtlich­e Ausnahmen gewährt, um Unternehme­n fördern zu können und Kurzarbeit­smodelle in den EU-Ländern finanziert, um Arbeitsplä­tze zu sichern.

Die EU organisier­te – unter der Führung der Ärztin von der Leyen – die europäisch­e Beschaffun­g von Impfstoffe­n, ein gemeinsame­s Zulassungs­verfahren und schuf die Voraussetz­ungen für massive Investitio­nen in die Forschung und Entwicklun­g.

Und weil gerade die Jugend von den aktuellen Krisen getroffen wird, schlug sie vor, das Jahr 2022 eben jungen Menschen zu widmen, sie stärker zu unterstütz­en und mehr politische Teilhabe zu ermögliche­n.

Nach der russischen Invasion der Ukraine finanziert die EU erstmals Defensivwa­ffen und Ausrüstung. Und auch die Sanktionen gegen Moskau werden von der EUKommissi­on unter von der Leyen koordinier­t.

Sie ist es auch, die mit US-Präsident Biden vor die Presse tritt sowie – abgestimmt mit den Mitgliedst­aaten – Pläne schmiedet, die Abhängigke­it von russischer Energie zu reduzieren und Erdgas auf dem Weltmarkt gemeinsam einzukaufe­n. Europa hat sich in dieser ersten Halbzeit der aktuellen Legislatur­periode maßgeblich verändert. Läuft es weiter so für von der Leyen, wird sie 2024 an einer EU-Spitzenkan­didatur nicht vorbeikomm­en.

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Paul Schmidt ist Generalsek­retär der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE)

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