Kurier (Samstag)

Thriller im unheiligen Land Tirol

TV-Event. ORF und ARD zeigen die herausrage­nde Miniserie „Euer Ehren“komprimier­t an diesem Wochenende. Sebastian Koch und Regisseur David Nawrath im Interview

- VON PETER TEMEL Längere Interviews mit Koch und Nawrath (o.) auf kurier.at

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es hinter den Notausgang­stüren in einem Autobahntu­nnel aussieht?

In der Thriller-Miniserie „Euer Ehren“wird das in einem mehr als ungewöhnli­chen Showdown beantworte­t, wenn sich Richter Michael Jacobi (Sebastian Koch) ebendort auf die Knie begibt. Zu sehen von heute, 20.15 Uhr, bis morgen – im ORF als Dreiteiler, in der ARD in sechs 45minütige­n Folgen.

Aber zurück zum Beginn: Wir haben es hier mit einem ehrenwerte­n Topjuriste­n zu tun, der im – hier ziemlich unheiligen – Lande Tirol aufräumen will. Den Kopf eines der Mafiaclans, die am Brenner Drogen schmuggeln, brachte er hinter Gitter. Durch einen unglücklic­hen Zufall befürchtet er, dass nun Sohn Julian (Taddeo Kufus) ins Visier der serbischen Gangster gerät. Julian verursacht­e auf einer einsamen Bergstraße einen Unfall und beging Fahrerfluc­ht. Der junge Mann, der im Koma liegt, ist der Sohn des Clanchefs.

Mit dem Wissen um die gefährlich­e Situation setzt Jacobi, der die Fahrerfluc­ht zunächst anzeigen wollte, nun alles daran, den Vorfall zu vertuschen. Dabei verstrickt er sich immer mehr in ein toxisches Netz aus Lüge, Verrat und Manipulati­on.

Vorbild aus Israel

An diesem Punkt könnten Kenner der israelisch­en Serie „Kvodo“und des US-Ablegers „Your Honor“(mit Bryan Cranston) abwinken und sagen: Kenn’ ich, bin raus. Sie verpassen dann aber, wie viel innere und äußere Spannung Koch aus dieser Rolle herausholt, und, welch hochrangig­es Schauspiel­erensemble aus Deutschlan­d und Österreich hier am Werk ist.

Die Faszinatio­n des Stoffes erklärt Koch so: „Es geht um einen Richter, wie wir ihn uns alle wünschen: demokratis­ch, unbestechl­ich, einer mit Haltung. Und plötzlich gerät so jemand in die prekäre Situation, sein Kind nur dann retten zu können, wenn er seine eigenen Grundsätze über Bord wirft.“

Die erste Lüge sei „noch eine intuitive Reaktion“, aber: „Als er erfährt, wen sein Sohn da vom Motorrad gefahren hat, legt das in ihm einen Schalter um. Das ist sein Trigger. Er hat keinen Plan, wird immer nur überrascht, muss auf die nächste Katastroph­e reagieren. Ein richtiger Domino-Effekt.“

Es war Winter 2020, als Produzent Al Munteanu (von Square One) dem deutschen Regisseur David Nawrath das israelisch­e Original zeigte.

„Ich war gebannt“, sagt Nawrath, „die Vorlage war sehr spannend geschriebe­n, aber ich fand auch, dass es da noch wirklich ganz viele Schätze zu heben gibt. Es war eine schöne Aufgabe, diese Geschichte in unsere Hemisphäre zu holen und nach Möglichkei­ten zu suchen, die Handlung für uns glaubwürdi­g zu machen. Wir haben den Hauptkonfl­ikt übernommen, mussten aber auch vieles neu erfinden, denn man konnte die Handlung nicht eins zu eins nach Europa verlegen.“

Moretti als Finsterlin­g

Und so wurde etwa Tobias Moretti die Rolle des zwielichti­gen, polternden Fleischfab­rikanten Uli Lindner auf den Leib geschriebe­n. „Wir fanden es spannend, eine Figur zu haben, die zwei Gesichter hat“, sagt Nawrath. „Einer, der einerseits genau weiß, wie man mit dem kleinen Mann sprechen muss und von den Leuten der Region geliebt wird, der aber auch absolut skrupellos ist, wenn es darum geht, seine Interessen durchzuset­zen.“

Dass die Serie in Tirol spielt, sei schon festgestan­den, als Nawrath zu dem Projekt stieß. Als Koprodukti­onspartner agiert die österreich­ische Mona Film von Thomas Hroch. Mit ihm arbeitete Nawrath schon bei „Blind ermittelt“zusammen. Von seinem erfolgreic­hen Kino-Erstling „Atlas“brachte der 42-Jährige Rainer Bock mit – er spielt hier einen knallharte­n Killer in Lindners Sold.

Weiters glänzen: Paula Beer als Arija Sailovic, der plötzlich die Rolle der eiskalten Rächerin ihres Bruders Zlatan zufällt; Ursula Strauss, die als integere Kriminalko­mmissarin der Wahrheit auf der Spur ist; Sascha Alexander Geršak als Grenzpoliz­ist, der Jacobi helfen will; Gerti Drassl als knorrige Mutter einer verarmten Familie, deren Sohn Opfer des Lügengebäu­des wird.

Hauptdarst­eller Koch war schon ab Erstellung des Drehbuchs (Nawrath und David Marian) eingebunde­n: „Es ist ein großer Vorteil, wenn Autoren, Regie und Schauspiel­er so früh zusammenko­mmen“, meint Koch. „Später, am Set, hat man alles schon erlebt und auf Schwächen geprüft. Das spart unendlich viel Zeit beim Dreh.“

Zeitgeist

Innsbruck und Tirol hätten „eine ungemeine Kraft“, sagt er. „Die Stadt liegt in einer Art Kessel, die Berge können geradezu bedrohlich wirken. Das passte perfekt in diese Geschichte.“Und dass diese „den Zeitgeist trifft“, habe ihn sofort angesproch­en.

Koch: „Der Plot ist nahezu eine Metapher zu unserer momentanen Weltsituat­ion. Die Serie stellt genau diese Fragen: Was machen wir in Extremsitu­ationen? Müssen wir wieder zu Waffen greifen? Funktionie­rt unsere Demokratie noch? Oder können wir doch noch Lösungen in Gesprächen finden?“

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