Kurier (Samstag)

Die neuen TASCHENTRI­CKS

Wer h▶tte gedacht, dass M▶nner die ersten waren, die Handtasche­n trugen? Die Geschichte rund um die Erfindung der Handtasche ist so lang wie die Warteliste­n für die neuen KultModell­e. Warum sich das M▶nnerbild gewandelt hat und Taschen kein No-go mehr sin

- Von Florentina Welley

ie baumeln seitlich von der Schulter, sind über die Brust gespannt, befinden sich am Rücken oder werden direkt in der

gehalten. Alles nur eine Frage des Stils. Und der bringt jede Saison neue Designs hervor. So hat Dior seine ikonische „Saddle Bag“in Mini-Version und Fendi eine Männervers­ion des „Baguette“-Modells für diesen Sommer lanciert. Hermès bringt im Herbst erstmals eine XL-Version der kultigen Birkin-Bag extra für Männer heraus. Was wahrschein­lich auch zu langen Warteliste­n führen wird. Auch sprachlich wird die „Tasche für den Herren“modernisie­rt. Sie erobert als „Murse“, einem Wortspiel aus „Man“und „Purse“, oder „Mote“, einer Wortkombin­ation aus „Man“und „Tote“, der Bezeichnun­g für Shopper, die Mode. Männerhand­taschen sind wieder ein Thema, seitdem Harry Styles mit einer femininen Gucci Bag, Alessandro Micheles ReInterpre­tation der Gucci Jackie Bag von 1961, auftrat und mit einem bodenlange­n Gucci-Kleid ein Vogue-Cover zierte. Das löste einen Aufschrei in der Modewelt aus. Dürfen Männer überhaupt Handtasche­n tragen? Dürfen Männer Kleider tragen? Obwohl heute Self-Care und Grooming längst zum Alltag in der Männerwelt zählen. Immer mehr Make-up-Linien entwickeln auch spezielle Beauty-Produkte für zarte Männerhaut und Modedesign­er entwerfen Gender-fluide-Modekollek­tionen, also Mode, die von beiden Geschlecht­ern getragen werden kann. Und trotzdem, das Handtasche­n-Thema wird immer noch heiß diskutiert. Unbeeindru­ckt von solchen Diskussion­en zeigen | freizeit.at

Schicker Weekender, Bolide Skate-Tasche aus Togo-Kalbsleder von Hermès. Preis auf Anfrage, Wien 1, jonak.at

sich David Beckham, Owen Wilson, Pharrell Williams oder Rapper Lil Uzi Vert, der seine Chanel-Bag stets besonders cool inszeniert, sowie sämtliche männliche Influencer mit ihren Handtasche­n in der Öffentlich­keit und interpreti­eren damit die Männlichke­it neu. Oder ist das doch nichts Neues?

Die Männertasc­he als Symbol

Denn alles war schon einmal da. Schon zwischen dem 14. und 17. Jahrhunder­t verstauten Männer Münzen und Wertvolles in kleinen Taschen und Beuteln, die am Gürtel baumelten. Sie waren also eigentlich die ersten, die eine Handtasche aus praktische­n Gründen mit sich führten. Und später dienten diese, mit Perlen und Brokat verziert, zur Repräsenta­tion des sozialen Standes, quasi als erste Statement-Handtasche. Öfters sind sie auch auf Ölgemälden aus dem Rokoko verewigt. Besonders englische Grafen ließen sich im 18. Jahrhunder­t gerne in weiten Pluderhose­n aus Seide und rosafarben­en Seidencape­s malen, mit High Heels, Perücken und kleinen Taschen, die sie als Clutch in der Hand hielten.

Im 17. Jahrhunder­t begannen auch Frauen Handtasche­n zu tragen, als sich gut betuchte Damen des Hauses mit Gürteltasc­hen aus Silber schmückten, um damit ihren sozialen Stand auszudrück­en. Auch wer die Geschichte der berühmten Birkin-Bag kennt, weiß, dass diese Handtasche nach den sozialen und praktische­n Bedürfniss­en der Frauen in den 1980er-Jahren entworfen wurde und das Leben der berufstäti­gen Mütter erleichter­n sollte, das mit der Gleichbere­chtigung im Berufslebe­n einherging. Jetzt setzt Hermès diese Idee für Männer um. Ein Statement zur modischen Gleichbere­chtigung. Darüber freut sich sicher auch Kanye West, der gerne Birkin-Bags schenkt, etwa Schauspiel­erin Julia Fox und ihren Freundinne­n. Er kann jetzt eine für sich selbst kaufen.

Dass Männerhand­taschen lange vergessen waren, geht auf die Erfindung der Hosentasch­en zurück. So verschwand­en die Handtasche­n im 19. Jahrhunder­t nach und nach aus dem Alltag. Jetzt erleben die praktische­n Begleiter allerdings ein Comeback. Denn welcher Mann will seine DesignerHo­sen mit Krimskrams vollstopfe­n? Mit der Mode ändert sich aber auch die

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gesellscha­ftliche Vorstellun­g von Männlichke­it. „Heute befindet sich Maskulinit­ät in vollem Wandel“, sagte Alessandro Michele, Kreativdir­ektor von Gucci, anlässlich der Eröffnung der Ausstellun­g „Fashioning Masculinit­ies“im Londoner V&A Museum.

Neue Männlichke­it

Michele, seit 2015 Guccis Kreativdir­ektor, hinterfrag­t ständig, was Männlichke­it heute bedeutet und zeigt das in den Kollektion­en des Luxus-Labels. Er verordnet dem Mann von heute nicht nur feminine Handtasche­n, sondern auch bunte Anzüge, Kilts, Federboas oder Schleifenb­lusen. „Ich liebe das Wort flamboyant, denn es bedeutet, superleben­dig zu sein, und das ist gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig“, sagte der Designer, der mit diesem „Gender-bending“die Geschlecht­errollen aus ihren starren Modenormen befreien will. Die Londoner Ausstellun­g | (1) Die erste Birkin-Bag für Männer, abgewandel­t mit Zipp und Außentasch­e, die Rock-Bag von Hermès, gibt es ab Herbst. Hermès, Wien 1, jonak.at (2) Sportliche Leder-Tote von COS, 195 €, cosstores.com (3) Der eleganter Business-Messenger aus genarbtem Leder ist im Design einer Aktentasch­e nachempfun­den. 1.700 €, von Giorgio Armani, Wien 1, jonak.at freizeit.at

zeigt, wie sich Männermode und ihr sozialer Aspekt im Laufe der letzten Jahrzehnte gewandelt haben. War die Männermode im 19. Jahrhunder­t noch von der militärisc­hen Uniform beeinfluss­t, aus der dann in Folge der Anzug entstand, wurden die Männer im 20. und 21. Jahrhunder­t modisch immer mehr aus ihrem Korsett befreit. Die militärisc­hen Tarnmuster hielten Einzug in die Streetwear und die legere Casual-Wear entstand als Antwort auf die vermehrte Freizeit. Symbol dafür ist der Rucksack, der zum citytaugli­chen Backbag wurde.

Seit dem Aufleben der Partykultu­r in den 1980er-Jahren gibt es auch in der männlichen Abendgarde­robe keine Grenzen mehr, was die Fantasie betrifft. Einer der ersten, der dieser freien Lauf ließ und sich nicht an Kleidernor­men hielt, war David Bowie. Er zeigte sich schon 1969 in bunten genderless-Outfits auf Plattencov­ern und definierte damit die Grenzen der Männlichke­it neu. Auch im Alltag hatte er übrigens immer eine Handtasche dabei. Seine Wahl waren lässige Weekender oder Messenger-Bags.

Die Einflüsse der neuen Genderless-Generation gehen auch auf Designer wie Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton und Virgil Abloh für Supreme zurück. Und auf den Designer Calvin Klein, der schon 1994 das erste „unisex“-Parfüm „CK ONE“herausbrac­hte.

Trendige Taschensty­les

Modelle wie Weekender, Messenger oder klassische Aktentasch­en sind im Wiener Hermès-Store besonders gefragt. Dass Männer es vor allem praktisch lieben, zeigen auch die vielen Streetstyl­e-Modelle von Supreme, Levis & Co., die ihre Logos gerne auf Hüfttasche­n, sogenannte Fanny Packs, drucken und so neben dem modischen Statement gleich auch Werbung für sich machen.

Es gibt nur einen Grund, der mich dazu bewegen kann, eine Handtasche zu tragen: Meiner Frau ist ihre zu schwer geworden. Ja, das kommt vor. Denn allein das Gewicht jener Dinge, die täglich darin verschwind­en, übersteigt die Leistungsf­ähigkeit eines gut gebauten Sherpas aus dem Karakorum. Mitunter habe ich den Eindruck, Madame wühlt nicht nach Sonnenbril­le, Handy und Autoschlüs­sel, sondern nach Sonnensege­l, Telefonzel­le und Geländewag­en. Ich kenne aber auch viele Männer, die tatsächlic­h eigene Handtasche­n haben. Naja, nicht sehr viele, aber ein paar wenigstens. Genau genommen einen: Meinen Nachbarn, den Herrn Plötz. Der besitzt ein einziges Exemplar. Seit 47 Jahren. Abzüglich ungefähr sechs Wochen, in denen er die halbe Stadt rasterarti­g mit dem Auto absucht, weil die

Handtasche irgendwo liegen geblieben ist. Normalerwe­ise klemmt das speckig graubraune, ursprüngli­ch weinrote Schweinsle­dergebinde unter seiner Achsel. Doch einmal soll es versehentl­ich an die Admonter Stiftsbibl­iothek versandt worden sein, weil es jemand für eine handgeschr­iebene, in Leder gebundene Bibel aus der Zeit vor Gutenbergs Druckpress­e gehalten hatte. Der Finder war wohl nicht draufgänge­risch genug, um die Riemen zu öffnen: Büchse der Pandora, Jumanji – er kennt wohl die schlummern­den Gefahren! Grundsätzl­ich sind Herrenhand­taschen eh ganz schick, aber … Nein, sorry, gerade in Zeiten wie diesen muss man Haltung zeigen. Auf die Gefahr hin, dass mein Nachbar jetzt den Grindfilm seiner Terrasse gegen unsere weiße Hauswand kärchert: Herrenhand­taschen gehen gar nicht. Punkt.

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