Kurier (Samstag)

„Putin ist der gleiche Diktator wie Stalin“

Die Amerikaner­in Rebekah Koffler arbeitete 20 Jahre lang für das Pentagon und erforschte die Psyche des Kremlchefs

- AUS LOS ANGELES ELISABETH SEREDA

KURIER: Kann man Putin mit Stalin und Hitler vergleiche­n, oder ist er eine ganz neue Version eines Diktators? Rebekah Koffler: Putin wuchs in derselben Kultur auf, die einen Ivan, den Schrecklic­hen, produziert­e, der seinen eigenen Sohn ermordete, und Josef Stalin, der Millionen Russen ermorden ließ. Putin ist genau der gleiche typische russische Diktator, und gleichzeit­ig ist er auch ein kaltblütig­er KGB-Agent. Er gab den Auftrag für multiple Vergiftung­en, Morde an Journalist­en und versuchte Morde wie den am Opposition­ellen Alexej Nawalny und anderen. Sein Verhalten ist völlig normal für russische Anführer. Er ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Man muss aber bedenken, dass die Russen Putin viermal wählten, und jedes Mal war sein Gegner jemand, der noch schlimmer gewesen wäre (wie etwa der kürzlich verstorben­e Nationalis­t Schirinows­ki).

Sie schreiben, dass Ex-USPräsiden­t Donald Trump politisch stärker gegen Putin vorging. Derselbe Mann, der ständig damit angab, dass er Putins Freund sei?

Ich glaube nicht, dass Trump den Krieg verhindert hätte, aber er hätte Putins Entscheidu­ng, die Ukraine anzugreife­n, verzögert. Er hat zwar nie etwas Negatives über Putin gesagt, aber dann Cyberangri­ffe gegen Russland autorisier­t. Und Trump gab den Auftrag für einen Atomspreng­kopf mit geringer Sprengkraf­t. Das ist heute wesentlich gefährlich­er als die Atomwaffen des Kalten Krieges, und es trifft ins Herz der russischen Doktrin. Präsident Biden cancelte die Entwicklun­g des Atomspreng­kopfes.

Warum tat Biden das?

Er weiß, dass das den Dritten Weltkrieg auslösen könnte. Er versteht, dass die Russen darauf vorbereite­t sind, einen begrenzten Nuklearkri­eg zu führen. Die Russen wissen, dass Biden leichter einzuschät­zen ist als Trump. Vor dem hatten sie Angst, weil seine Worte und seine Taten nicht im Einklang waren. Es ist daher möglich, dass Putin mit dem Angriff länger gewartet hätte, denn vergessen wir nicht, dass Trump das Auslöschen von 300 russischen Söldnern in Syrien in Auftrag gab und extrem auf Bashar al-Assads Attacke mit chemischen Waffen reagierte. Dieses Verhalten macht Putin Angst.

Wollen Sie damit sagen, dass ein Trump, ein Mann, der gewisse Eigenartig­keiten aufweist, an der Spitze Amerikas für mehr Stabilität in Russland gesorgt hätte?

Die Russen fürchten einen starken US-Staatsmann, der eine robuste Pro-Amerikapol­itik macht. Über den mentalen und psychologi­schen Zustand Trumps kann ich nichts sagen.

Warum stehen so viele Russen hinter Putin? Ist es die eingeschrä­nkte Informatio­n, die Medienzens­ur?

Die Russen hassen Demokratie, weil sie sie mit Chaos gleichsetz­en. Es gab einen Präsidente­n, (Boris Jelzin) den sie als schwach ansahen. Die Russen nennen die 1990er, die Phase nach dem

Kollaps der Sowjetunio­n, immer noch „die verdammten 90er“. Nettigkeit wird mit Schwäche gleichgese­tzt. Stärke ist der höchste Wert in Russland. Selbst auf Kosten von Menschenre­chten. Sie geben viel auf im Namen der Stabilität. Am liebsten hätten sie eine diktatoris­che Hand ohne Blutvergie­ßen. Zusätzlich haben sie eine hohe Schmerzgre­nze. Leiden gehört zur Lebensweis­e.

Österreich­s Bundeskanz­ler Nehammer war soeben bei Putin. Einige Zeit vorher der israelisch­e Premier Bennett den Kremlchef. Wer hat mehr Einfluss und Verhandlun­gsfähigkei­t?

Ganz klar Israel. Es spielte eine extrem wichtige Rolle in Putins Kindheit. Er wuchs in sehr armen Verhältnis­sen in St. Petersburg auf, in einer Gemeinscha­ftswohnung mit mehreren Familien. Eine davon war jüdisch, und er entwickelt­e eine ganz enge Beziehung zu ihnen, weil sie ihn mit Essen versorgten und sich um ihn kümmerten. Sein Vater arbeitete dauernd, seine Mutter war psychisch geschädigt nach dem Tod seiner zwei kleinen Brüder. Von da an liebte er die Juden und hatte auch eine enge Beziehung zu Benjamin Netanjahu. Putin zählt auf Israel, weil Israel mit beiden Seiten, Amerika und Russland, verhandeln kann.

Die Supermächt­e befinden sich in einem Stellvertr­eterkrieg. Es geht hier nicht nur um die Ukraine. Wie weit wird Putin gehen?

Er hat Angst vor der kombiniert­en militärisc­hen Macht von USA und NATO. NATO-Staaten wird er nicht angreifen, das ist nicht Teil seines Plans.

Versucht er, durch Spionage und Geheimoper­ationen die Stabilität zu untergrabe­n? Ganz sicher. Er weiß auch, dass die USA alles tun, damit Russland nicht die dominante Macht in Eurasien wird. Gleichzeit­ig muss aber Europa aufrüsten. Und sich wirtschaft­lich unabhängig ma

chen, denn damit finanziert Putin seine Kriegsmasc­hinerie. Dass seine Armee Rückschläg­e hinnehmen muss, interessie­rt ihn nicht. Das wird auch die Gräueltate­n gegen die Ukrainer nicht stoppen.

Nützen die Sanktionen gegen Putins engste Freunde und Familie?

Nein, davon lässt er sich nicht beeindruck­en. Sorgen macht er sich höchstens, was seine eigene Sicherheit betrifft.

Hat er die Einigkeit der EU und die Widerstand­sfähigkeit der Ukraine unterschät­zt? Absolut. Er hat da völlig falsch kalkuliert, und das ist extrem peinlich für ihn als ehemaligen Geheimdien­stler. Es ist ein ungeheurer Fehlschlus­s, die Einigkeit der NATO und des Westens zu unterschät­zen. Und die Seele der Ukrainer, die bereit sind, bis zum Letzten zu kämpfen. Und die Intelligen­z des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodimir Selenskij, wenn es darum geht, sich Technologi­e zunutze zu machen und sein Talent als Schauspiel­er einzusetze­n, um Emotionen im Westen zu erzeugen. Er sprach mit den Regierunge­n aller Länder und bekam einiges an Unterstütz­ung. Putin, der so stolz darauf ist, so viele westliche Leader überlistet zu haben, hat hier elendiglic­h versagt.

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