„Putin ist der gleiche Diktator wie Stalin“
Die Amerikanerin Rebekah Koffler arbeitete 20 Jahre lang für das Pentagon und erforschte die Psyche des Kremlchefs
KURIER: Kann man Putin mit Stalin und Hitler vergleichen, oder ist er eine ganz neue Version eines Diktators? Rebekah Koffler: Putin wuchs in derselben Kultur auf, die einen Ivan, den Schrecklichen, produzierte, der seinen eigenen Sohn ermordete, und Josef Stalin, der Millionen Russen ermorden ließ. Putin ist genau der gleiche typische russische Diktator, und gleichzeitig ist er auch ein kaltblütiger KGB-Agent. Er gab den Auftrag für multiple Vergiftungen, Morde an Journalisten und versuchte Morde wie den am Oppositionellen Alexej Nawalny und anderen. Sein Verhalten ist völlig normal für russische Anführer. Er ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Man muss aber bedenken, dass die Russen Putin viermal wählten, und jedes Mal war sein Gegner jemand, der noch schlimmer gewesen wäre (wie etwa der kürzlich verstorbene Nationalist Schirinowski).
Sie schreiben, dass Ex-USPräsident Donald Trump politisch stärker gegen Putin vorging. Derselbe Mann, der ständig damit angab, dass er Putins Freund sei?
Ich glaube nicht, dass Trump den Krieg verhindert hätte, aber er hätte Putins Entscheidung, die Ukraine anzugreifen, verzögert. Er hat zwar nie etwas Negatives über Putin gesagt, aber dann Cyberangriffe gegen Russland autorisiert. Und Trump gab den Auftrag für einen Atomsprengkopf mit geringer Sprengkraft. Das ist heute wesentlich gefährlicher als die Atomwaffen des Kalten Krieges, und es trifft ins Herz der russischen Doktrin. Präsident Biden cancelte die Entwicklung des Atomsprengkopfes.
Warum tat Biden das?
Er weiß, dass das den Dritten Weltkrieg auslösen könnte. Er versteht, dass die Russen darauf vorbereitet sind, einen begrenzten Nuklearkrieg zu führen. Die Russen wissen, dass Biden leichter einzuschätzen ist als Trump. Vor dem hatten sie Angst, weil seine Worte und seine Taten nicht im Einklang waren. Es ist daher möglich, dass Putin mit dem Angriff länger gewartet hätte, denn vergessen wir nicht, dass Trump das Auslöschen von 300 russischen Söldnern in Syrien in Auftrag gab und extrem auf Bashar al-Assads Attacke mit chemischen Waffen reagierte. Dieses Verhalten macht Putin Angst.
Wollen Sie damit sagen, dass ein Trump, ein Mann, der gewisse Eigenartigkeiten aufweist, an der Spitze Amerikas für mehr Stabilität in Russland gesorgt hätte?
Die Russen fürchten einen starken US-Staatsmann, der eine robuste Pro-Amerikapolitik macht. Über den mentalen und psychologischen Zustand Trumps kann ich nichts sagen.
Warum stehen so viele Russen hinter Putin? Ist es die eingeschränkte Information, die Medienzensur?
Die Russen hassen Demokratie, weil sie sie mit Chaos gleichsetzen. Es gab einen Präsidenten, (Boris Jelzin) den sie als schwach ansahen. Die Russen nennen die 1990er, die Phase nach dem
Kollaps der Sowjetunion, immer noch „die verdammten 90er“. Nettigkeit wird mit Schwäche gleichgesetzt. Stärke ist der höchste Wert in Russland. Selbst auf Kosten von Menschenrechten. Sie geben viel auf im Namen der Stabilität. Am liebsten hätten sie eine diktatorische Hand ohne Blutvergießen. Zusätzlich haben sie eine hohe Schmerzgrenze. Leiden gehört zur Lebensweise.
Österreichs Bundeskanzler Nehammer war soeben bei Putin. Einige Zeit vorher der israelische Premier Bennett den Kremlchef. Wer hat mehr Einfluss und Verhandlungsfähigkeit?
Ganz klar Israel. Es spielte eine extrem wichtige Rolle in Putins Kindheit. Er wuchs in sehr armen Verhältnissen in St. Petersburg auf, in einer Gemeinschaftswohnung mit mehreren Familien. Eine davon war jüdisch, und er entwickelte eine ganz enge Beziehung zu ihnen, weil sie ihn mit Essen versorgten und sich um ihn kümmerten. Sein Vater arbeitete dauernd, seine Mutter war psychisch geschädigt nach dem Tod seiner zwei kleinen Brüder. Von da an liebte er die Juden und hatte auch eine enge Beziehung zu Benjamin Netanjahu. Putin zählt auf Israel, weil Israel mit beiden Seiten, Amerika und Russland, verhandeln kann.
Die Supermächte befinden sich in einem Stellvertreterkrieg. Es geht hier nicht nur um die Ukraine. Wie weit wird Putin gehen?
Er hat Angst vor der kombinierten militärischen Macht von USA und NATO. NATO-Staaten wird er nicht angreifen, das ist nicht Teil seines Plans.
Versucht er, durch Spionage und Geheimoperationen die Stabilität zu untergraben? Ganz sicher. Er weiß auch, dass die USA alles tun, damit Russland nicht die dominante Macht in Eurasien wird. Gleichzeitig muss aber Europa aufrüsten. Und sich wirtschaftlich unabhängig ma
chen, denn damit finanziert Putin seine Kriegsmaschinerie. Dass seine Armee Rückschläge hinnehmen muss, interessiert ihn nicht. Das wird auch die Gräueltaten gegen die Ukrainer nicht stoppen.
Nützen die Sanktionen gegen Putins engste Freunde und Familie?
Nein, davon lässt er sich nicht beeindrucken. Sorgen macht er sich höchstens, was seine eigene Sicherheit betrifft.
Hat er die Einigkeit der EU und die Widerstandsfähigkeit der Ukraine unterschätzt? Absolut. Er hat da völlig falsch kalkuliert, und das ist extrem peinlich für ihn als ehemaligen Geheimdienstler. Es ist ein ungeheurer Fehlschluss, die Einigkeit der NATO und des Westens zu unterschätzen. Und die Seele der Ukrainer, die bereit sind, bis zum Letzten zu kämpfen. Und die Intelligenz des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, wenn es darum geht, sich Technologie zunutze zu machen und sein Talent als Schauspieler einzusetzen, um Emotionen im Westen zu erzeugen. Er sprach mit den Regierungen aller Länder und bekam einiges an Unterstützung. Putin, der so stolz darauf ist, so viele westliche Leader überlistet zu haben, hat hier elendiglich versagt.