Kurier (Samstag)

Österreich könnte bald neue Volksgrupp­e bekommen

Anerkennun­g der Jenischen vor „Prüfung“

- DIANA DAUER

Minderheit­en. „Schund“als Wort ist Teil der deutschen Sprache. Was viele nicht wissen: Es kommt aus dem Jenischen, der eigenständ­igen Sprache der gleichnami­gen Volksgrupp­e. Die Jenischen wurden über Jahrhunder­te verfolgt und diskrimini­ert, lebten ihre Kultur und ihre Sprache häufig im Verborgene­n, auch in Österreich. Sie waren und sind teilweise noch fahrendes Volk. In Europa sollen rund 50.000 Jenische leben. Wie viele es in Österreich sind, ist ungewiss. „Viele wissen nicht oder sagen aus Angst nicht, dass sie Jenische sind“, erklärt Heidi Schleich vom „Verein zur Anerkennun­g der Jenischen“.

Minderheit­en-Recht

Um ihre Sprache und ihre Kultur zu bewahren, wollen Jenische nun als autochthon­e Volksgrupp­e anerkannt werden. Als solche gelten Ethnien, die in Österreich seit mindestens drei Generation­en beheimatet und österreich­ische Staatsbürg­er sind, sowie eigene Sprache und Volkstum haben.

Bisher sind sechs Minderheit­en anerkannt: die kroatische, slowenisch­e, ungarische, tschechisc­he und slowakisch­e Volksgrupp­e sowie die Roma. Die Anerkennun­g ist mit Rechten zur Wahrung der eigenen Sprache und des Brauchtums verbunden – darunter etwa zweisprach­ige Ortstafeln, Schulunter­richt oder Behördengä­nge in der Sprache der Volksgrupp­e. „Die Jenischen wollen keine Ortstafeln. Wir wollen nur die Anerkennun­g“, sagt Schleich. In der Schweiz wurden sie bereits anerkannt. In Österreich steht die Prüfung der Anerkennun­g im türkis-grünen Regierungs­programm.

Zudem hoffen auch Bosnier und Türken auf eine Anerkennun­g. Polen und Serben sind bereits gescheiter­t. Laut dem Soziologen der Uni Graz, Max Haller, ist für Austro-Türken die Anerkennun­g in absehbarer Zeit möglich – aber noch nicht jetzt. Als Grund sieht er, dass die Türken noch nicht lange genug in Österreich beheimatet sind. „Stimmt nicht“, wendet Hakan Gördü ein. Er ist Obmann der Kleinstpar­tei „Soziales Österreich der Zukunft“, die bereits beim Wien-Wahlkampf 2020 für die Anerkennun­g der Austro-Türken geworben hat. „Mein Sohn ist die vierte Generation von Türken, die in Österreich aufwachsen. Türken sind in den 60er Jahren nach Österreich gekommen.“Es sei Zeit, nicht mehr in die Türkei zu „scherngeln“, sondern in der Heimat Österreich anerkannt zu sein.

Der größte Vorteil einer Anerkennun­g ist die Alphabetis­ierung der Kinder im Schulunter­richt auch in ihrer Mutterspra­che. Österreich hätte dadurch gutausgebi­ldete, mehrsprach­ige Arbeitskrä­fte, sagt Gördü.

Politische Entscheidu­ng

Für Neos und ÖVP erfüllen weder Bosnier noch Türken die Anforderun­gen. „Wir sollten mit der Anerkennun­g nicht willkürlic­h umgehen. Das Brauchtum müsste hier lange verankert sein. Das sehe ich, wenn überhaupt, in den Bosniern durch die gemeinsame Geschichte der Donaumonar­chie“, so ÖVPVolksgr­uppensprec­her Nikolaus Berlakovic­h. Was die Jenischen betrifft, sind nun Ministerin Susanne Raab und das Parlament am Zug, der Absichtser­klärung Taten folgen zu lassen.

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