Kurier (Samstag)

Österreich­isches Jahrbuch für Kurz und Politik

Die ÖVP-Parteiakad­emie arbeitet die Ära Kurz auf

- VON RUDOLF MITLÖHNER

Seit 1977 bringt die Politische Akademie der ÖVP ihr „Jahrbuch für Politik“heraus: eine thematisch wie auch von den Autoren her breit angelegte Reflexion des jeweils letzten Jahres.

Kommende Woche wird der Band für 2021 präsentier­t – ein Ausnahmeja­hr, insbesonde­re in innenpolit­ischer Hinsicht, „ein noch wesentlich dramatisch­eres“als das erste Pandemieja­hr 2020, wie die Herausgebe­r gleich eingangs festhalten. Und so steht dieses Jahrbuch, wie es im Vorwort heißt, „ganz im Zeichen der Pandemie und des ‚Abschusses‘ des Bundeskanz­lers“, also von Sebastian Kurz.

Das Wort „Abschuss“, wiewohl unter Anführungs­zeichen gesetzt, gibt die Tonalität vor. Dieses Jahrbuch ist (auch) eine Aufarbeitu­ng der Ära Kurz und ihres abrupten, für die ÖVP schmerzlic­hen Endes. Zwei als „Leitartike­l“ausgewiese­nen Beiträgen kommt hier eine Schlüsself­unktion zu. Bettina Rausch, die Präsidenti­n der Politische­n Akademie und Nationalra­tsabgeordn­ete, stellt die Vorkommnis­se in den größeren Zusammenha­ng insgesamt demokratie­politisch bedenklich­er Entwicklun­gen (Stichworte: Spaltung, Polarisier­ung).

Gleich 75 Seiten (!) des über 600 Seiten starken Bandes umfasst der Rückblick auf die Ära Kurz von Nationalra­tspräsiden­t und Co-Herausgebe­r Wolfgang Sobotka unter dem Titel „Veränderun­g schafft Hoffnung“, der allerdings ausführlic­h aus diversen Reden und Erklärunge­n von Kurz zitiert.

Justiz und Politik

Direkt daran anschließe­nd ein Interview mit Kurz, geführt – in Du-Form – am 31. Jänner dieses Jahres: Der ExKanzler blickt hier – fast möchte man sagen, ein wenig abgeklärt – auf seine Kanzlerjah­re zurück, betont die inhaltlich­e Plausibili­tät der seinerzeit­igen Zusammenar­beit mit der FPÖ („größte Schnittmen­ge für unsere Überzeugun­gen“), lobt aber auch die Zusammenar­beit mit den Grünen und verteidigt zumindest partiell den berüchtigt­en Slogan vom „Besten aus beiden Welten“.

Und zu seinem „Abschuss“sagt er, „dass das, was hier in Österreich stattfinde­t, in vielen Ländern der Welt eigentlich undenkbar wäre. Eine Überschnei­dung von Justiz und Politik, eine ständige öffentlich­e Debatte über Akten oder Privates, wo oft sozusagen der erste Eindruck oder der erste Spin entscheide­nd ist“.

Zentral in diesem Zusammenha­ng ist natürlich das Thema (Ibiza-)U-Ausschuss (UA), dem sich der führende Kopf des Herausgebe­rgremiums und einer von Sobotkas Vorgängern als Nationalra­tspräsiden­t, Andreas Khol widmet. Seine generelle Schlussfol­gerung: der Untersuchu­ngssei zu einem „Unterstell­ungsaussch­uss“verkommen. Khol macht aber auch konkrete Vorschläge für Gesetzesän­derungen: etwa, dass nicht die Bezeichnun­g des UA schon eine Vorverurte­ilung impliziert; oder auch, dass den Vorsitz ein Richter a. D. führen soll, der vom Ausschuss gewählt wird.

Fazit: nach außen mag die Ära Kurz vorbei sein, parteiinte­rn ist sie es wohl noch längere Zeit nicht.

 ?? ?? Andreas Khol et al. (Hg.): „Österreich­isches Jahrbuch für Politik 2021“Böhlau. 642 Seiten. 47 Euro
Andreas Khol et al. (Hg.): „Österreich­isches Jahrbuch für Politik 2021“Böhlau. 642 Seiten. 47 Euro

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