Kurier (Samstag)

„Auf seltsame Weise fördert Krieg Kunst“

Interview. Slava Wakartschu­k, Leadsänger der berühmten ukrainisch­en Rockband Okean Elzy, über den Krieg in seiner Heimat, das Verhältnis zu Russland sowie über Kraft und Ohnmacht der Musik

- VON ELISABETH SEREDA

Man könnte ihn als den ukrainisch­en Bono bezeichnen. Er ist Leadsänger der berühmten ukrainisch­en Rockband Okean Elzy. Er hat ein Doktorat in Physik, ist kulturelle­r Ehrenbotsc­hafter des UN-Entwicklun­gsprogramm­s. Und jetzt kämpft er für sein Land: Slava Wakartschu­k, 46, erreichten wir via Zoom in einer geheimen Location.

KURIER: Wo sind Sie derzeit? Slava Wakartschu­k: Ich bin in Dnipro, einer der größten Städte der Ostukraine. Ich war vor einigen Tagen noch weiter östlich und habe Leute aus Luhansk getroffen, Militär und Polizei. Ich war in einem Krankenhau­s und bin zu einem Busparkpla­tz gefahren, auf dem Menschen darauf warten, zum nächsten Bahnhof gebracht zu werden, um in den Westen zu gelangen. Dort sieht es aus wie in einem Flüchtling­slager. Ein Tag geht in den nächsten über, manche sind gefährlich, manche sind sentimenta­l, andere sind grauenhaft. Wir hoffen, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist.

Wenn Sie mit Menschen in den Krankenhäu­sern sprechen, was erzählen sie?

Vor Kurzem lernte ich einen Mann Mitte 30 kennen, dem das Bein amputiert wurde. Er war aus Butscha. Er hatte versucht, mit seiner Familie zu fliehen. Die Russen hielten sie auf und ermordeten seine Frau und beide Söhne und schossen ihm ins Bein. Ich habe viel gesehen und viel gehört, aber das war das Schlimmste. Im Übrigen geht es in Mariupol noch viel fürchterli­cher zu.

Sie hatten ein wunderbare­s Leben, sind verheirate­t, haben ein Baby und Sie sind ein Rockstar. Wie haben sich Ihre Prioritäte­n verändert?

Jeder, der einmal Krieg erlebt hat, weiß, dass Krieg alles schwarz-weiß macht. Du siehst keine Farben mehr. Das ist sehr frustriere­nd, aber auch sehr simpel. Dinge wie Ruhm bedeuten nichts mehr. Das Einzige, das zählt, ist Sicherheit für die Familie, für die Freunde und das ganze Land. Unser einziges Ziel ist, Russland davor zu stoppen, unsere Nation zu zerstören, denn allein die Idee einer ukrainisch­en Nation ist in ihren Augen eine Unmöglichk­eit. Für mich selbst wird sich in Zukunft einiges verändern. Mein Leben war nie sehr luxuriös, aber wenn der Krieg vorbei ist, werde ich noch bescheiden­er und simpler leben.

Ihr Präsident sprach während der Grammyverl­eihung darüber, wie stark Musik Menschen verbindet.

Ich stimme Präsident Selenskij zu. Musik und Kunst im Allgemeine­n kann die Welt retten, denn Kunst ist pure Emotion. Und das ist das Gegenteil von Krieg. Ich kann mich gut in John Lennon hineinvers­etzen, der „Imagine“gesungen hat. Obwohl die Zeile „Imagine there’s no country“in der derzeitige­n Situation fragwürdig ist, denn das ist genau das, was Putin macht – sich vorstellen, dass Ukraine kein Land ist. Aber auch die Mehrheit der russischen Bevölkerun­g erkennt die Existenz nicht an. Das ist der Hauptgrund für diesen Krieg. Musik ist wichtig, weil sie die Nation eint, aber die Aggression der Russen kann sie nicht stoppen. Das können leider nur Waffen.

Was halten Sie von der Theorie, dass die meisten Russen aufgrund des Informatio­nsstopps der Regierung gar nicht wissen, was wirklich vorgeht und sie es nicht gutheißen würden?

Davon halte ich gar nichts, weil es nicht stimmt. Dass die Jüngeren aufwachen und kritisches Denken entwickeln, kann schon sein, aber erwartet keine große Revolution, das ist nicht in der russischen Seele. Ich habe mehr russische Städte bereist und

mit mehr Leuten gesprochen als die meisten Russen. Ich kenne die Mentalität. Ich habe mit meiner Band in vielen Stadien gespielt, wir waren riesig in Russland und haben Millionen Fans dort. Aber es macht mich nicht glücklich, dass viele, die sich Okean Elzy anhören und zu unseren Konzerten kamen, jetzt Putin unterstütz­en.

Wie hat die Erfahrung des Kriegs Ihre Musik verändert?

Gute Frage, aber eine, die ich vermutlich noch nicht beantworte­n kann. Ich sang heute in einer Polizeista­tion, und danach habe ich zum ersten Mal seit Beginn des Krieges hier in meinem Hotelzimme­r die Gitarre herausgeho­lt und begonnen, einen Song zu schreiben. Der Text hat mit dem ukrainisch­en Widerstand zu tun. Am 22. April bringen wir eine Single heraus, eine Coverversi­on von Joe Cockers „You are so Beautiful“, die ich ganz simpel nur mit dem Piano aufgenomme­n habe und der Ukraine widme. Auf eine seltsame Weise fördert Krieg Kunst, denn wenn der Krieg vorbei ist, gibt es eine Explosion an Kunst, das kann man durch die Geschichte verfolgen.

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Slava Wakartschu­k, Leadsänger von Okean Elzy: „Musik ist wichtig, weil sie die Nation eint“

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