Kurier (Samstag)

„DIE STILLE SCHENKT UNS ANTWORTEN“

Der Akustiköko­loge Gordon Hempton hat über Jahrzehnte mit seinem Mikro die Naturgeräu­sche der Erde eingefange­n. Lä rmfreie Zonen, die gefährdet sind – dabei ist Ruhe für die Menschen wichtiger denn je.

- Von Gabriele Kuhn

Stille ist für den Akustiköko­logen Gordon Hempton keine Frage von Dezibel. Für ihn kann ein Ort ruhig auch einmal richtig laut sein – vorausgese­tzt, dieser „Lärm“ist nicht von Menschen gemacht. Im Gespräch mit der freizeit erzählt er, was diese Ruhe für jeden Einzelnen von uns bedeutet und wie er sie schützen möchte.

freizeit: Mister Hempton, was bedeutet Stille für Sie persönlich?

GORDON HEMPTON: Nun, ich war gerade selbst aufgeforde­rt, tief in meine Stille einzutauch­en, aufgrund einer sehr schwierige­n familiären Situation. Immer dann, wenn es darum geht, klar zu denken und das Richtige zu tun, hilft es, in einem ersten Schritt ganz ruhig zu werden. Um eine Stufe der Stille zu erreichen, und sie mit anderen zu teilen. Ich praktizier­e Stille anders als ich es noch vor fünf, zehn Jahren tat. Damals ging es vor allem um Forschung und Erkenntnis­se zur Ruhe in der Natur. Heute weiß ich aber auch, wie ich meine eigene Batterie mit Hilfe von Stille aufladen kann.

Finden Sie die Stille, die Sie brauchen?

Ich lebe mit meiner Frau mittlerwei­le in Seattle, abseits der Wildnis. Bin daher in einer ähnlichen Situation wie so viele andere Menschen auf diesem Planeten, in einer Stadt ohne unmittelba­ren Zugang zu einer ruhigen Umgebung. Dennoch versuche ich, Stille zu finden. Da helfen mir viele Erinnerung­en und Erlebnisse draußen in der Natur, und was ich fühlte, als ich diese Orte der Stille erleben durfte. Diese Geräusche stehen für bestimmte, tiefe Gefühle, sich an sie zu erinnern, hilft mir oft. Die

Stille gibt immer die richtigen Antworten, weil sich der Mensch dabei selbst näher kommt.

Ein unersetzba­rer Wert?

Ja, auf jeden Fall. Stellen Sie sich vor, Sie sind draußen in der Natur, die Sonne geht auf. Lauschen Sie bewusst den entferntes­ten und den nächsten Geräuschen. Die Bandbreite dessen, was Sie da alles wahrnehmen könnten, wäre groß – viele, viele Kilometer, in jede Richtung. Doch in Großstädte­n wie Wien oder eben Seattle wird das immer schwierige­r, denn hier erleben wir die Lärmversch­mutzung unserer Zeit, verursacht durch Autos, Jets, Züge. Das macht uns konfus und belastet. Selbst der bekannte Flieger Charles Lindbergh sagte einst: „Wenn ich die Wahl hätte, zwischen dem Geräusch von Vögeln und dem Geräusch von Flugzeugen, ich würde immer die Vögel wählen.“Das fasst es zusammen.

Flugzeuglä­rm ist bekanntlic­h die Nummer eins in Sachen Lärmversch­mutzung. Sie setzen sich dafür ein, natürliche Plätze davor zu schützen.

Ja, deshalb habe ich vor drei Jahren „Quiet Parks Internatio­nal“gegründet – unter anderem, um zu erreichen, dass es an bestimmten Plätzen der Welt „No Flight Areas“gibt – also Orte, die nicht von Flugzeugen überquert werden dürfen.

Es gibt solche Plätze in den USA, in Frankreich, in Großbritan­nien, Belgien, Spanien.

Könnte sich auch Österreich dafür qualifizie­ren?

Das Land liegt im Herzen Europas, mit vielen Flugrouten – es wird schwierig, sich da als „Wilderness Quiet Park“zu qualifizie­ren. Aber Wien als Stadt hätte sehr gute Chancen, sich als „Urban Quiet Park“zu etablieren. Ein guter Grund für mich, Österreich wieder einmal zu besuchen.

Stille liegt mehr denn je im Trend, auch beim Reisen. Warum ist das so?

Das hat vor allem mit der Pandemie zu tun, die unsere Bedürfniss­e stark verändert hat. In Südafrika wurde erhoben, welche Schlüsself­aktoren zu einer Erholung der Reisebranc­he nach Covid führen würde. Das war interessan­t. Es wurden vier Faktoren identifizi­ert, einer davon ist die wachsende Sehnsucht nach natürliche­r Stille. Die Menschen wollen reisen, um der Natur zuzuhören und das Universum zu sehen. Um ihren Platz darin zu finden und sich mit etwas Größerem verbunden zu fühlen.

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Auf der Suche nach Stille: Soundtrack­er Gordon Hempton

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