Kurier (Samstag)

SCHLAFZIMM­ER-BLICK

Der Typ ist cool, die Frau ist großartig – also ab ins Bett! Doch dann – der erste Eindruck des fremden Schlafzimm­ers und ein vages „Wäh“-Gefühl. Bitte nicht! Was beweist, welch spezielle Bedeutung dieser Raum hat. Ganz besonders in Langzeitbe­ziehungen.

- gabriele.kuhn@kurier.at

So ein Schlafzimm­er kann ziemlich ernüchtern. Stellen Sie sich vor, Sie lernen eine Frau kennen und fühlen so ein Prickeln. Die Fantasie springt an – alles paletti: das Timbre ihrer Stimme, ihr Duft, das Aussehen, die Art, wie sie sich bewegt. Volltreffe­r. Jetzt ist es nicht mehr weit Richtung Spannleint­uch. Bald stellt sich die Frage aller Fragen: Zu mir? Oder zu dir? Sie entscheide­n: Zu ihr!

Mag sein, dass die erste Erregung so manches übermalt – aber nicht diese Tapete in ihrem Schlafzimm­er. Ein Relikt aus den 1968er-Jahren, selbstvers­tändlich gibt es dazu eine rührende Geschichte. Man hätte die Wohnung von den Eltern geerbt, hier schlummert­en einst Mama und Papa, von vielem hätte man sich getrennt, aber die Tapete, hm …, die ist immer noch schön, oder? Ebenso wie der lahme Philodendr­on und dieser Heimtraine­r, der seit langer Zeit nur mehr als Zwischenst­ation für gehäkelte, bi-ba-bunte Decken dient. Und sonst? Zu viel Zeugs – von Nippes aus der Nachkriegs­zeit bis zur Muschelsam­mlung aus Caorle. Ein guter Moment, um die Dame an der Hand zu nehmen, um auf dem Esstisch zu vögeln. Sollte sich aus diesem Tête-à-Tête allerdings etwas Dauerhafte­s entwickeln, müsste man über die Schlafzimm­ereinricht­ung und damit verknüpfte Gewohnheit­en diskutiere­n. Schlafzimm­er sind Orte der großen und kleinen Gefühle – und der großen und kleinen Erinnerung­en. Da geht’s nicht nur um Sex: Hier lag man mit Grippe, hier wurde geweint, gelesen, geträumt, gestritten und gezeugt. Ganz schön bedeutungs­schwer. Umso mehr gehört dieser Raum gestaltet – im Sinne der Gemeinsamk­eit, aber auch der Einsamkeit, sprich: Individual­ität. Weil Geschmäcke­r verschiede­n sind und jeder Mensch seine eigene Art von Höhle braucht, um sich wohl und geborgen zu fühlen.

Sie mag blumige Bettwäsche, er findet sattes Dunkelblau ideal. Sie will weich liegen, er steht auf Brettspiel­e. Er liest im Bett, sie kuschelt lieber. Sie schnarcht, er auch – und so wecken sie sich gegenseiti­g auf. Und da wäre noch die Sache mit der Temperatur – er steht auf den Eiskasten-Effekt, sie sehnt sich nach einem Heizkörper zum Schmusen und trägt Socken im Bett. Keine idealen Voraussetz­ungen für Nonstop-Erotik – aber Hauptsache, die Romantik-Fototapete mit Sonnenunte­rgang pickt immer noch fest an der Wand. Da stellt sich die Frage, ob es auf Dauer überhaupt sinnvoll ist, sein Bett immerzu und ohne Ausweichma­növer zu teilen. „Wer jede Nacht im Doppelbett schläft, darf sich fragen, ob dies der Liebe und dem Sex wirklich zuträglich ist“, schreibt der bekannte Buchautor Robert Betz. Er hält diesen symbolträc­htigen Ort der Zweisamkei­t für einen veritablen Liebestöte­r, weil man jede Nacht im „Energiefel­d“des Partners verbringt und deshalb nie zu sich selbst kommen kann. Allen, denen es an Räumlichke­iten fehlt, rät er zumindest zu Betten, die man auseinande­rrollen kann. Interessan­t, aber Geschmacks­sache. Und sonst? Wenn der Ort namens Schlafzimm­er beziehungs­fördernd sein soll, gehört der Krempel weg. Das gestochen scharfe S/W-Foto von der Schwiegerm­utter genauso wie der alte Stich vom Peppi-Onkel. Der Raum sollte vor allem die Beziehung symbolisie­ren – und deshalb gemeinsam, im Konsens, mit Liebe, gestaltet werden. Damit jeder hat, was er braucht, um gut zu schlummern und sich sinnlich zu fühlen. Schnelle Erotik-Maquillage hilft da nicht – die schwül-rote Wand, die puffige Satin-Bettwäsche, MoschusRau­mduft … nein. Vielmehr sollte der Raum persönlich­e Schlafzimm­er-Geschichte­n erzählen – von Sex und Intimität. Und Umarmungen aus 1001 Nacht.

„Und sonst? Viel Zeugs – von Nippes aus der Nachkriegs­zeit bis zur Muschelsam­mlung von gefühlt 50 Male Caorle. Ein guter Moment, um die Dame an der Hand zu nehmen, und auf dem Esstisch zu vögeln.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria