Kurier (Samstag)

Raus aus Putins Gas bis 2027 – geht das?

Raus aus Fossilen. Österreich könnte trotz aktuell hoher Abhängigke­it bis 2027 aus russischem Gas aussteigen, zeigt eine Analyse der Energieage­ntur. Aber wie realistisc­h ist das? Ein KURIER-Faktenchec­k

- VON BERNHARD GAUL

Die Analyse der Energieage­ntur im Check ist Heikles derzeit Noch Gaslieferu­ng Vorhaben. massiv strömt Österreich von das abhängig. Russlands Gas, doch das könnte sich auch rasch ändern. Eine Analyse der Energieage­ntur hat für das Klimaminis­terium vorgerechn­et, wie ein Totalausst­ieg aus Putins Gas bis 2027 gehen könnte – doch ist dieser Plan auch in der Realität umsetzbar? Während die Studienaut­oren die Annahmen verteidige­n, sehen Experten der WKÖ und der Industrie das Vorhaben kritisch. Zudem steckt die OMV im Dilemma zwischen Gazprom und den EU-Sanktionen. Noch hat sich Russland nicht deklariert, ob das neue Zahlungsmo­dell mit einem Euro- und einem Rubelkonto akzeptiert wird.

Noch strömt das Gas ohne Einschränk­ungen aus Russland nach Österreich. Doch die Sorge ist groß, dass Russland aus Vergeltung den Gashahn plötzlich zudreht. Sollte das passieren, würden Notfallplä­ne aktiviert, die sicher zu schweren wirtschaft­lichen Verwerfung­en führen würden.

Energiemin­isterin Leonore Gewessler legte deshalb eine Analyse der Energieage­ntur vor, wie Österreich bis 2027 aus russischem Erdgas aussteigen könnte: „Die Analyse ist sicher ambitionie­rt, zeigt aber, dass wir bis 2027 unabhängig von russischem Erdgas sein können“, sagt Gewessler zum KURIER. „Ich will ganz offen sein: Vor uns liegt ein nationaler Kraftakt. Ein schwierige­r Weg, der größten Einsatz von allen erfordert. Denn die Alternativ­e heißt: Russland führt Krieg, und wir schauen zu. Russland begeht Kriegsverb­rechen, und wir machen weiter wie bisher. Das ist falsch. Deshalb lautet die einzige Antwort: Raus aus russischem Erdgas. So schnell wie möglich – auch wenn es nicht einfach wird.“

Welche Maßnahmen sind nun vorgesehen – und wie muss man diese bewerten?

! Raus aus Gasthermen

1,2 Millionen Gasthermen sind derzeit in Betrieb. Die Energieage­ntur schlägt vor, bis 2030 rund 600.000 dieser Heizungen gegen Wärmepumpe­n, Fernwärme oder Biomasseke­ssel zu tauschen. Rein rechnerisc­h müssten bis Ende 2030 täglich knapp 190 Thermen ausgebaut werden. Das Ministeriu­m verweist auf aktuell 45.000 Anträge zum Heizungsta­usch – und stark steigende Anfragen. Franz Angerer, Geschäftsf­ührer der Energieage­ntur, verweist auf das Marktpoten­zial: „In zwei bis drei Jahren könnte der Markt doppelt so viel bedienen wie jetzt. Bei der PV wurde analog in zwei Jahren das Angebot verdreifac­ht.“

! Bauliche Sanierunge­n

Durch eine deutlich höhere Sanierungs­quote soll der Wärmeverlu­st und Heizbedarf in Gebäuden gesenkt werden. Experte Angerer: „Wir haben derzeit eine niedrige Sanierungs­quote, dennoch waren die Energie-Einsparung­en

im Bestand größer, als der Neubau zusätzlich benötigt hat. Das zeigt, welches Potenzial vorhanden ist.“Die Studie rechnet ohnehin nur mit einem kleinen Sparpotenz­ial.

! Industrie soll sparen

Bei der Industrie wird unterschie­den, ob Gas für den jeweiligen Prozess ersetzt werden kann (durch Strom), oder nicht. Etwas mehr als zehn Prozent könnten laut Studie nur durch Effizienz gespart werden, rund ein Viertel der Betriebe könnten ganz aus Gas aussteigen. Während Angerer die Machbarkei­t betont, widerspric­ht die Industrie: „Graduelle Verbesseru­ngen sind sicher möglich. Aber das genannte Einsparpot­enzial ist für uns nicht nachvollzi­ehbar“, sagt Energieexp­erte Dieter Drexel von der Industriel­lenvereini­gung. Der Gaspreis steige nicht seit gestern, die Betriebe hätten längst alle Potenziale gehoben.

! Fernwärme ohne Gas

Wien hat den Plan, mit dem unterirdis­chen Erdwärmepo­tenzial im Süden von Wien künftig die Fernwärme zu beliefern. Angerer: „Es gibt aber auch viel betrieblic­he Abwärme, die für Fernwärme verwendet werden kann. Darüber hinaus wird Biomasse das Erdgas in der Fernwärme ersetzen.“

! Massiver Biogas-Ausbau

Studien zeigen, dass aus Lebensmitt­elabfällen, aus Biomüll und Reststoffe­n aus der Landwirtsc­haft riesige Mengen Biogas durch Vergärung oder Gasifizier­ung erzeugt werden können. Die Analyse schlägt vor, rund die Hälfte dieses Potenzials bis 2030 zu heben.

! Grüner Wasserstof­f

„Langfristi­g muss erst eine Infrastruk­tur für die Wasserstof­f-Produktion gebaut werden. Jetzt haben wir bereits eine fossile Produktion von 150.000 Tonnen H2, die man künftig mit Ökostrom bewerkstel­ligen könnte“, sagt Angerer. IV-Experte Drexel widerspric­ht, dafür sei nicht ausreichen­d Ökostrom vorhanden.

! Neue Exportländ­er

Laut Studie müsse die Wirtschaft (etwa die OMV) neue Gaskonting­ente außerhalb Russlands sichern, gleiches gelte für den Import von sehr viel grünem Wasserstof­f.

Fazit der Wirtschaft­skammer: Energieexp­erte Jürgen Streitner bezweifelt die Machbarkei­t: „Wir finden, dass die beschriebe­nen Potenziale extrem schwer bis 2027 zu erreichen sind. Wir wollen raus aus russischem Gas. Damit wir das schaffen können, fehlt uns aber ein Gesamtplan. Außerdem ist fraglich, ob bei der Umstellung auf Ökostrom auch ausreichen­de Mengen vorhanden sein werden.“

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