Kurier (Samstag)

Das Comeback der Gewerkscha­ften in den USA

Eine neue Generation von Organisato­ren schafft, woran die etablierte­n „trade unions“seit Jahren scheitern

- VON MARTIN MEYRATH

„Ein Gespenst geht um in den USA – das Gespenst einer neuen Arbeiterbe­wegung“könnte man in Anlehnung an ein berühmtes KarlMarx-Zitat sagen. Denn in den vergangene­n Monaten hat ausgerechn­et im Kernland des Kapitalism­us die Gewerkscha­ftsbewegun­g Aufwind. Betroffen sind einige der schillernd­sten Namen: Google-Mutter Alphabet, die Kaffeehaus­kette Starbucks sowie die TechRiesen Apple und Amazon.

Das Gesicht der neuen Bewegung ist kein typischer Gewerkscha­ftsfunktio­när, sondern ein vergleichs­weise junger, modisch gekleidete­r Schwarzer aus New Jersey. Christian Smalls arbeitete fünf Jahre in einem Amazon-Logistikze­ntrum in Staten Island, New York. Zum Protagonis­ten wurde er auch auf Betreiben des Konzerns. In einer an die Öffentlich­keit gekommenen internen Mitteilung wird der ehemalige Hip-Hop-Musiker als „weder intelligen­t noch artikulier­t“beschriebe­n. David Zapolsky, Leiter der Rechtsabte­ilung bei Amazon, riet sogar dazu, ihn zum Aushängesc­hild der Gewerkscha­ftsinitiat­ive zu machen – in der Annahme, dass es dann einfach sei, diese zu diskrediti­eren.

Der Schuss sollte nach hinten losgehen. Zwei Jahre später beschreibt das Magazin Time Smalls als den Mann, der Amazon besiegt hat. Der zweitgrößt­e Arbeitgebe­r der USA hatte sich bis diesen Frühling erfolgreic­h gegen Gewerkscha­ften an seinen Standorten gewehrt.

Propaganda-Schlachten

Damit in den USA eine „union“gegründet werden kann, muss sich die Mehrheit der Beschäftig­ten an einem Standort dafür ausspreche­n. Um das zu unterbinde­n, investiere­n US-Konzerne viel Geld, laut Schätzung des Thinktanks Economic Policy Institute etwa 318 Millionen Euro pro Jahr. Spezialisi­erte Kanzleien und Beratungsf­irmen machen dafür etwa Informatio­nsveransta­ltungen, an denen die Mitarbeite­r teilnehmen müssen. Dazu kommt oftmals direkterer Druck im Betrieb, bis hin zur Entlassung von Gewerkscha­ftsaktivis­ten.

Auch Smalls wurde von Amazon gefeuert, nachdem er sich bei einer Protestakt­ion für besseren Infektions­schutz während der CoronaPand­emie engagiert hatte – offiziell wegen Verstößen gegen die Corona-Sicherheit­smaßnahmen.

Die etablierte­n Gewerkscha­ften haben oft versucht, die Kämpfe in den Konzernzen­tralen zu führen. Die erfolgreic­hen Kampagnen der letzten Monate hingegen fanden oft an Einzelstan­dorten, etwa Starbucks-Filialen, statt, weswegen die Konzerne schlechter darauf reagieren konnten. Nach Einschätzu­ng Smalls erhöht die lokale Selbstorga­nisation der Beschäftig­ten auch die Glaubwürdi­gkeit bei den Kollegen. Zudem können die Organisato­ren an die Protestbew­egungen der letzten Jahre wie Black Lives Matter und #MeToo anknüpfen. Und natürlich profitiere­n sie davon, dass in den USA annähernd Vollbeschä­ftigung herrscht, viele Arbeitnehm­er also weniger Angst um ihre Jobs haben.

Die Gewerkscha­ften wollen die Gunst der Stunde nutzen. Geschenkt wird ihnen dabei nichts: Amazon und Starbucks haben Beschwerde­n bei der Arbeitsauf­sichtsbehö­rde eingereich­t, Apple hat die renommiert­e gewerkscha­ftsfeindli­chen Kanzlei Littler Mendelson engagiert, um gegenzuste­uern. Es sieht so aus, als hätten die mächtigen Konzerne Angst vor dem eingangs erwähnten Gespenst, denn von gesellscha­ftspolitis­cher Macht ist die Bewegung weit entfernt. Nur etwa zehn Prozent der Beschäftig­ten in den USA sind in einer Gewerkscha­ft.

„Viele Gewerkscha­ften sind von den Arbeitern zu weit weg. Sie müssen von uns lernen“

Christian Smalls Amazon Labor Union

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria