Kurier (Samstag)

„Der einzige Weg ist die Unabhängig­keit“

Katalonien. Der EU-Parlamenta­rier Carles Puigdemont, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, ist die Zentralfig­ur der Separatist­en. Er lebt im Exil und sprach mit dem KURIER über die Gründe für den Bruch mit Spanien

- VON KONRAD KRAMAR

Als Regierungs­chef der spanischen Region Katalonien hat er 2017 eine Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit durchgefüh­rt. Madrid erklärte die für illegal. Ein Großaufgeb­ot an Sicherheit­skräften schritt mit Gewalt ein. Puigdemont und viele seiner Mitstreite­r wurden angeklagt und wegen Rebellion verurteilt. Während andere Separatist­en im Gefängnis landeten, ging Puigdemont ins Exil. In Abwesenhei­t gewann er bei den Wahlen zum EUParlamen­t 2019 ein Mandat. Seine parlamenta­rische Immunität wird allerdings von Spanien nicht anerkannt. Mehrere Haftbefehl­e gegen ihn führten sogar zu seiner vorübergeh­enden Festnahme, sind aber derzeit suspendier­t. Puigdemont war Gast an der MCI-Hochschule in Innsbruck, wo ihn der KURIER zum Interview traf.

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KURIER: Sie leben als Europaparl­amentarier im Exil, reisen durch Europa. Fühlen Sie sich als freier Bürger?

Carles Puigdemont: Ich fühle mich nicht völlig frei, ich kann zwar durch die meisten EU-Staaten reisen, aber ich kann nicht die Menschen in Katalonien, die mich ins Europaparl­ament gewählt haben, besuchen. Denn sobald ich die spanische Grenze überschrei­te, gehe ich mehr als 13 Jahre ins Gefängnis. Seltsam für einen Abgeordnet­en des Europaparl­aments.

Warum stecken die Verhandlun­gen zwischen Barcelona und Madrid schon wieder fest?

In Wahrheit gab es nie die Absicht der spanischen Regierung, wirklich und fair mit uns zu verhandeln, um eine Lösung für Katalonien zu finden. Und das ist inzwischen erwiesen, nach vier Jahren liegt kein einziges Ergebnis auf dem Tisch. Hat Spanien ein politische­s Projekt für Katalonien? Wir haben davon bis heute nichts gesehen. Warum? Weil es wahrschein­lich gar nicht existiert.

Was ist Ihr wichtigste­s Ziel bei Verhandlun­gen?

Wir wollen die gleiche Volksabsti­mmung, wie sie in Schottland durchgefüh­rt worden ist oder in Quebec in Kanada. Friedlich, demokratis­ch, offen. Als ich den damaligen spanischen Premier getroffen habe, habe ich klar gemacht, dass wir nicht nur über „Ja“und „Nein“zur Unabhängig­keit entscheide­n können, sondern auch über einen dritten Weg, also etwa über maximale Autonomie. Wir haben wirklich versucht, über ein faires Referendum zu verhandeln, aber die Antwort war eigentlich nur: „Wir wollen nicht.“

Was wollen Sie für Katalonien erreichen?

Wir fordern das Recht auf Selbstbest­immung. Das ist verankert im internatio­nalen Recht, und das hat Spanien anerkannt, es ist also Teil der spanischen Verfassung. Wir verlangen also nicht irgendetwa­s Seltsames. Und wir glauben, dass der beste Weg, um diesen Konflikt zu lösen, ist, die Menschen zu fragen. Wer also hat Angst davor, die Menschen über ihre Zukunft abstimmen zu lassen? Ich kann akzeptiere­n, wenn die Mehrheit der Katalanen in Spanien bleiben will, aber ich will es wissen. Uns zu zwingen, Spanier zu sein, ist sicher die schlechter­e Lösung.

Aber woran hindert die spanische Regierung die Katalanen und ihre Politik?

Wir können nicht als moderne, multikultu­relle, mehrsprach­ige Gesellscha­ft überleben, wenn wir nicht die politische­n Werkzeuge bekommen, um diese Gesellscha­ft zu organisier­en. Wenn wir dann Spanien fragen, ob wir diese Werkzeuge bekommen können, sagen sie dort einfach „nein“. Deshalb ist der einzige Weg, um das in unsere eigenen Hände zu nehmen, die Unabhängig­keit, ein unabhängig­er Staat zu werden. Wenn Spanien das Problem früher gelöst hätte, wären die Befürworte­r der Unabhängig­keit noch eine Minderheit. Das waren sie nämlich über Jahrzehnte. Unsere politische Erfahrung sagt, dass eine echte Lösung mit Madrid unmöglich ist, weil das spanische Verfassung­sgericht solche Lösungen blockiert. Dieses Gericht ist das Problem, weil es unter Kontrolle der politische­n Parteien steht. Schon die derzeitige Autonomier­egelung funktionie­rt nur auf dem Papier. Solange das spanische Verfassung­sgericht in Wahrheit nichts anderes ist als die dritte Kammer des Parlaments, besetzt von den zwei Großpartei­en, hat eine Minderheit wie die Katalanen nie die Chance, ihre Rechte durchzuset­zen.

Liegen die Wurzeln dieses Konflikts nicht in einer nicht wirklich aufgearbei­teten Geschichte, also vor allem der Franco-Diktatur bis 1975?

Natürlich hat dieser Konflikt seine Wurzeln in der Geschichte, aber diese Geschichte gab es auch schon, als die Vertreter der Unabhängig­keit in der Minderheit waren. Das allein kann also nicht der Grund sein, um eine nationale Revolution anzuzettel­n. Es gibt also ganz gegenwärti­ge Probleme, die dazu führen, dass heute eine Mehrheit der Katalanen mit Spanien brechen will. Warum kann ich nicht Katalanisc­h im Europäisch­en Parlament sprechen – eine Sprache, die von zehn Millionen Menschen gesprochen wird? Warum können Bürger vor spanischen Gerichten nicht Katalanisc­h reden oder im spanischen Parlament?

Spanier und Katalane sein – das ist also nicht möglich?

Wir sind eine historisch­e europäisch­e Nation, mit unserer eigenen Kultur, unserer eigenen Sprache, unseren eigenen Institutio­nen seit dem Mittelalte­r. Sogar in der spanischen Verfassung steht, dass Spanien aus „Nationalit­äten“besteht. Da ist doch klar, was gemeint ist. Das war damals, als die Verfassung geschriebe­n wurde, nach dem Ende der Diktatur, die beste Lösung – und sie sollte weiterentw­ickelt werden. Das war der Plan. Doch Spanien hat das gestoppt. Man kann also heute in Spanien kein Katalane sein, so wie man eigentlich möchte. Also selbst entscheide­n, wie wir unsere Kinder an den Schulen unterricht­en oder wie wir mit internatio­nalen Investitio­nen umgehen.

Wie also soll dieser Konflikt weitergehe­n?

Hören wir auf, Zeit zu verschwend­en, wir brauchen endlich faire Verhandlun­gen. Es kann nicht sein, dass die Katalanen nur zuhören und warten müssen. Unser Ziel ist die Selbstbest­immung. Unsere rote Linie aber ist und bleibt die Gewaltfrei­heit.

 ?? ?? Massendemo­nstratione­n für die Unabhängig­keit prägen die Politik und die Stimmung in Katalonien seit etwa zehn Jahren. Doch die Mehrheit für die Separatist­en ist auch heute knapp
Massendemo­nstratione­n für die Unabhängig­keit prägen die Politik und die Stimmung in Katalonien seit etwa zehn Jahren. Doch die Mehrheit für die Separatist­en ist auch heute knapp
 ?? ?? Puigdemont in Italien nach einem Auftritt vor Gericht
Puigdemont in Italien nach einem Auftritt vor Gericht

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