Transnistrien. Putins nächstes Pulverfass
In der pro-russischen Separatistenregion im Osten Moldaus gibt es rätselhafte Anschläge, Moskau spricht von der Unterdrückung der Russischsprachigen. Ist das ein Vorwand für einen Einmarsch?
Transnistrien spielte auf der europäischen Landkarte bisher keine große Rolle. Das hat sich geändert, als in der Separatistenregion im Osten Moldaus vor einigen Tagen Funkmasten explodierten und ein Sowjet-Munitionslager beschossen wurde. Dehnt sich der Ukraine-Krieg über die Grenze gen Westen aus? Der KURIER hat die wichtigsten Fragen und Antworten.
? Was ist Transnistrien für
eine Region – und was hat sie mit Russland zu tun? Transnistrien ist ein Landstrich mit knapp einer halben Million Einwohnern im Osten Moldaus; er grenzt an die Westukraine. Seit einem Sezessionskrieg 1992 regieren dort pro-russische Separatisten, die von Moskau etwa mit Gratis-Gas gestützt werden, international aber von keinem Staat anerkannt werden – auch von Russland nicht. Die verarmte Region wird „Museum der UdSSR“genannt, auf der Flagge prangen Hammer und Sichel, gesprochen wird russisch; eine Haupteinnahmequelle des Regimes ist Schmuggel in die EU. Seit Kriegsbeginn wird befürchtet, dass die dort stationierten russischen Truppen die Ukraine angreifen könnten.
? Warum ist die Lage plötzlich eskaliert?
Am 25. April wurde das Ministerium für Staatssicherheit in der Hauptstadt Tiraspol beschossen,
jetzt tags darauf explodierten zwei Antennen, auch ein Waffenlager in Kolbasna wurde beschossen, nur zwei Kilometer entfernt von der Ukraine. Die Verantwortung dafür schiebt man sich gegenseitig zu: Die transnistrischen Machthaber sagen, das sei die Ukraine gewesen, Russland behauptet das auch. Kiew sagt, Russland hätte eine „False flag“-Operation ausgeführt, um einen Vorwand für russisches Einschreiten zu schaffen. ? Wer steckt wirklich den Attacken?
Das ist unklar. Die Ukraine hat Interesse daran, das riesige Munitionslager an der Grenze unschädlich zu machen – das hätte „das Potenzial der Hiroshima-Bombe“, sagt Marcel Röthig, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Größeres Interesse an einer Verschärfung des eingefrorenen Konflikts hat aber Russland, weil so ukrainische Kräfte aus dem Donbass Richtung Transnistrien abziehen müssten. Ein Indiz dafür ist, dass das russische Verteidigungsministerium drei Tage vor dem Beschuss behauptete, die transnistrische, russischsprachige Bevölkerung würde von Moldau „unterdrückt“– dasselbe Argument lieferte man für die „Befreiung“des Donbass’. Zugleich rief Generalmajor Rustam Minnekajew die Separatistenrepublik öffentlich als neues Eroberungsziel aus – mit der Landbrücke dorthin könnte man sich Odessa einverleiben und die Ukraine hinter vom Meer abschneiden, was sie ruinieren würde.
? Will Putin also wirklich
dort einmarschieren? Eigentlich ist das unwahrscheinlich. Zum einen kündigt man solche Pläne nicht an, zum anderen kommt Moskau auch im Osten nicht voran. Auch, dass transnistrische Truppen die Russen unterstützen, ist nicht zielführend, dort stehen nur etwa 7.500 Mann unter Waffen. Plausibler ist, dass Moskau „ablenken und provozieren“will, sagt Anatol Şalaru, Ex-Vizeverteidigungsminister Moldaus. Das funktioniert – kurz nach dem ersten Beschuss flohen bereits Tausende Menschen aus Transnistrien. Das dunkelste Szenario für ihn ist, dass Moskau Moldau in den Krieg zieht: Das Land ist neutral, hat keine nennenswerten Streitkräfte, 200.000 ukrainische Flüchtlinge sind im Land. Moldaus Schutzmacht ist Rumänien – das NATO-Mitglied könnte sich schlimmstenfalls veranlasst sehen, einzugreifen.
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