Kurier (Samstag)

Miese Mitarbeite­rführung und Pushbacks: Frontex-Chef geht

Grenzschut­z-Agentur braucht neue Führung

- INGRID STEINER-GASHI

EU-Behörde. Wenn Migranten an der türkischen Küste bei gutem Wetter in die überfüllte­n Schlauchbo­ote steigen, können sie ihn sehen – den Osten der griechisch­en Insel Lesbos. Der Streifen zwischen der Türkei und dem EU-Territoriu­m ist nur wenige Kilometer breit. Genau hier, auf dem offenen Meer, soll es in den vergangene­n Jahren immer wieder zu so genannten Pushbacks gekommen sein: Migranten werden zurückgedr­ängt, damit sie gleich erst gar nicht in der EU einen Asylantrag stellen können. In der Europäisch­en Union sind Pushbacks illegal.

Doch Berichte genau darüber häuften sich, Flüchtling­e erzählten, Medien recherchie­rten, das EU-Parlament prüfte nach: Pushbacks kommen in großer Zahl vor – und Mitarbeite­r der EU-Grenzschut­zagentur Frontex sollen dabei zugesehen oder zumindest nicht eingegriff­en haben.

Interne Datenbank

Die steirische SP-EU-Abgeordnet­e Bettina Vollath, die bei den Untersuchu­ngen des Parlaments mitgearbei­tet hat, berichtet: „Die interne FrontexDat­enbank belegt, dass Frontex allein zwischen März 2020 und September 2021 an Pushbacks von mindestens 957 Menschen beteiligt war.“Dafür verantwort­lich: der 54-jährige, streitbare Leiter der in Warschau angesiedel­ten EUAgentur, Fabrice Leggeri.

Unter dem Druck der nicht nachlassen­den Vorwürfe bot Leggeri seinen Rücktritt an. Dabei stolperte der Korse weniger darüber, dass Frontex tatsächlic­h in Pushbacks verwickelt gewesen sein könnte. Patrouille­n machen die EU-Grenzschüt­zer immer gemeinsam mit nationalen Behörden. FrontexLeu­te dürfen keine Personen anfassen, geschweige denn auf Boote drängen oder Menschen daran hindern, auszusteig­en. Sie müssen aber melden, wenn ihre begleitend­en griechisch­en Grenzschüt­zer dies tun. So zog sich Leggeri bei allen Untersuchu­ngen stets auf den Standpunkt zurück: Tatsächlic­he Rechtsvers­töße der Frontex-Mitarbeite­r konnten nicht nachgewies­en werden. Bei den Anhörungen im EU-Parlament verwickelt­e sich Leggeri in Widersprüc­he, interne Dokumente wurden nur scheibchen­weise offengeleg­t. Der Verdacht erhärtete sich, Leggeri verschleie­re Informatio­nen.

Was Europas obersten Grenzschüt­zer das Amt gekosten haben dürfte, waren massive interne Beschwerde­n von Mitarbeite­rn über Personalfü­hrung. Zudem wurde Leggeri vorgeworfe­n, er habe Mitarbeite­r aus der EUGrundrec­hte-Agentur eingeschüc­htert. Diese waren für die interne Kontrolle der Frontex-Einsätze zuständig.

Einen über alle Zweifel erhabenen Chef wird Frontex benötigen, zumal die Agentur beim Außengrenz­schutz eine immer größere Rolle spielt. Bis 2027 soll die Zahl ihrer Mitarbeite­r von 2.100 auf 10.000 aufgestock­t werden. Im Vorjahr starben beim Versuch, über das Meer in die EU zu gelangen, 3.000 Menschen.

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Massiv unter Druck: Fabrice Leggeri ist zurückgetr­eten

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