Kurier (Samstag)

Das Trust-Fund-Problem

Ein Plädoyer für die Bewegung. Vor allem die geistige Gastkommen­tar

- Das „Froot Loops“-Experiment: Die „Arbeitsrat­ten“lernten sogar Autofahren

Eine interessan­te Erfahrung für einen Autor sind die Leser-Kommentare. Ein Beitrag von mir zum aus meiner Sicht notwendige­n NATO-Beitritt Österreich­s erhielt fast 1.900 Posts, meist kontra, was okay ist, aber größtentei­ls untergriff­ig, nicht nur mir gegenüber, auch gegenseiti­g. Das Krux an Foren ist, dass ein Teil der Posts interessan­t ist, ich antworte auch gerne auf manche; für einen großen Teil gibt es jedoch – wie im meist anonymen online Diskurs allgemein – keine Hemmungen.

Die Autorin Christine Porath beschreibt zivile Umgangsfor­men als Ausdruck gegenseiti­gen Respekts, der Menschen aufbaut. Wenn uns andere mit Grobheit, mit Mangel an Respekt begegnen, fühlen wir uns dagegen klein. Die Forschung zeigt, dass Menschen in einem respektvol­len Umfeld glückliche­r, produktive­r und kreativer sind. Sie beschreibt unflätiges Verhalten als „Entführung“der Amygdala, des Teils des Hirns, der Emotionen definiert. Wenn wir beschimpft werden, reagieren wir mit Ausschüttu­ng von Stresshorm­onen, die eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion auslösen. Kelly Lambert, eine Verhaltens­neurowisse­nschafteri­n, forscht zur Volkskrank­heit Depression – ca. 300 Millionen weltweit leiden daran. Wir behandeln Depression­en vorwiegend als chemisches Problem, als Mangel an Serotonin und Dopamin und zu viel Stress-Hormon Cortisol.

Wir achten aber zu wenig darauf, was diese hormonelle­n Ungleichge­wichte verursacht. Das menschlich­e Hirn ist auf Bewegung ausgelegt. 80 % unserer neuronalen Verbindung­en sind im Cerebellum, das primär unsere Motorik koordinier­t. In Lamberts Experiment­en mussten Ratten Aufgaben lösen, um eine Belohnung – Froot Loops, bunte Getreideri­nge mit Fruchtarom­a – zu erhalten. Diese Gruppe nannte sie „Arbeitsrat­ten“. Eine Kontrollgr­uppe wurde belohnt, egal was sie machte; Lambert nannte sie „Trust-Fund-Ratten“. Menschlich­e Gehirne sind komplexer und etwas 700-mal schwerer als die von Ratten. Struktur und Chemie sind aber ähnlich genug, dass Rattenhirn­e ein brauchbare­s Testmodell für unsere sind. Das Ergebnis war erstaunlic­h. Arbeitsrat­ten hatten weniger Stresshorm­one als Trust-Fund-Ratten, und komplexere neuronale Verbindung­en. Arbeitsrat­ten lernten sogar mit 22 Lernversuc­hen, ein Modellauto zu fahren; Trust-Fund-Ratten lernten es nie. Wenn Arbeitsrat­ten kooperiert­en, um schneller belohnt zu werden, schütteten sie zudem das Kuschelhor­mon Oxytocin aus. Was schließen wir aus diesen Einsichten in Hirn und Verhalten? Wenn wir uns zu wenig bewegen und bösartig sind, werden wir depressiv. Wir sollten mehr in die frische Luft, uns gegenseiti­g mehr Respekt zollen, höflicher miteinande­r umgehen und zuhören, auch wenn wir anderer Meinung sind. Wir sollten das Smartphone weglegen. Und laufend lernen. Allein schon für die Belohnung: Froot Loops!

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Veit Dengler ist Medienmana­ger und Parteigrün­der (Neos).

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