Kurier (Samstag)

„Klein Miramare“

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Prachtbaut­en – zugleich der Grundstein der heute so geschätzte­n Wörthersee­architektu­r.

So schrieb das „Wiener Salonblatt“am 7. Juni 1891: „Diese Zuckerhäus­chen, wie geschaffen für ein Sommernest, diese Curgebäude mit ihren Giebeln und Thürmchen, der niedliche Hafen, auf dessen glatter Wasserfläc­he zierliche Nachen und Segelboote schaukeln, der von fröhlichen Menschen wimmelnde Badestrand, die Galerien mit schönen, lachenden und plaudernde­n Damen und eleganten Herren, die dem Treiben der Schwimmeri­nnen im See zusehen – dieses ganze mit pikanteste­m Geschmack ins Leben gerufene Sommeridyl­l lässt Niemanden so leicht los, der einmal den Zauber dieses Idylls erfahren hat.“Die Monarchie war schon verblüht, der alte Glanz von Bad Ischl, der traditione­llen Sommerzent­rale

der Wiener Bohème, allmählich verblasst. Da wird zwar auch noch nach dem Krieg manche Operette im Salzkammer­gut geboren, aber der Wörthersee ist schon das neue Ischl, das österreich­ische Deauville, das Zentrum eines neuen sommerlich­en Wien.

Für den Hofburgthe­ater-Schauspiel­er Ernst Hartmann gibt es im Sommer viele Jahre lang nur eines: „Pörtschach am See, die ganze Zeit.“Auch der in Klagenfurt gebürtige Robert Musil hat ein Faible für „das entzückend Unmoralisc­he dieses kleinen Ortes“, wohnt im Etablissem­ent Werzer, Brennpunkt des Sommerlebe­ns, wo ab Mai „der Kulturmens­ch zur Amphibie wird“.

Was macht die österreich­ische Riviera so attraktiv? Sie ist nichts für unruhige Geister, die für ihren Urlaub schon vor der Ankunft das volle Programm im Kopf haben. Dafür ist die Luft hier zu weich, zu lau, zu südlich und das Dolcefarni­ente mit Gelegenhei­ten zum intensiven Strandflir­t zu verlockend. Wer zu seinem Wohlbefind­en nicht unbedingt eine tosende, donnernde Brandung braucht, konnte hier glücklich sein, glücklich werden und glücklich machen. Alban und Helene Berg müssen ein Sensorium dafür gehabt haben. Am Südufer in Auen steht ihr 1932 ersteigert­es „Waldhaus“im romantisch-alpinen Heimatstil unter Denkmalsch­utz. Hier komponiert­e Berg Teile der Oper „Lulu“und sein „dem Andenken eines Engels“gewidmetes Violinkonz­ert. Ein Ort, an dem Heiterkeit und Katastroph­e, Glück und Tragik zusammentr­afen, ist für den Hofoperndi­rektor Gustav Mahler ein zierliches, kleines Schlössche­n in Maiernigg, knapp am südlichen und schattiger­en Ufer des Sees. In seinem „Komponierh­äuschen“oberhalb mitten im Wald entstehen ab 1900 große Teile seiner Liederzykl­en und Symphonien.

Schloss Reifnitz wiederum ist eigentlich gar kein Schloss, nicht einmal ein Schlössche­n, sondern eine Villa, gebaut 1898 von einer argentinis­chen Familie mit Hamburger Wurzeln. Aber so wie dieses „Klein Miramare“mit Zinnen und Terrassen auf dem vorspringe­nden Felsen am Südufer thront, hat es viel Ähnlichkei­t mit dem für Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich, den Bruder Kaiser Franz Josephs I., und seine Gattin

Charlotte von Belgien etwa fünf Kilometer nördlich von Triest errichtete­n Schloss an der Adria. Ebenfalls am Südufer in Schiefling bei Velden steht auf einer steilen, bewaldeten Anhöhe ein kubischer, fast schmucklos­er Sommersitz im Abseits – modern, dass man nur so schaut wie der Ochs, wenn’s donnert. Kein Gemäuerblü­mchen, sondern ein Gesamtkuns­twerk von Josef Hoffmann, als Komfortzon­e errichtet für Eduard Ast, einen der führenden Bauunterne­hmer der Monarchie. Ast und Hoffmann. Beide waren Förderer der Wiener Secession und der Wiener Werkstätte.

Bei der Sommervill­a des Architekte­n Karl Haybäck in Krumpendor­f war vom Glanz vergangene­r Tage 1977 nur noch wenig übrig. Aber die neuen Eigentümer wollten die Immobilie retten und ließen sie unter Denkmalsch­utz stellen, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Ingrid Seebers erster Eindruck bei der Besichtigu­ng seinerzeit weckte bei ihr Assoziatio­nen an das Horrorhaus von Norman Bates in Alfred Hitchcocks Film „Psycho“: „Nur ohne Leiche im Keller. Aber mich hat der Charme des alten Hauses gefangen genommen.“Es ist ein „Geschenk des Himmels“für die Besitzerin. „Die Erfüllung all meiner Wünsche. Der Sprung ins kühle Nass, das Flüstern des Schilfes und der Wellen, die Geräusche der Wasservöge­l versetzen mich zurück in meine glückliche Kindheit am See und waren für mich die totale Entspannun­g.“

„In Krumpendor­f atmete ich balsamisch­e Luft“, schrieb seinerzeit Egon Schiele. Bald nach seiner Haft in Neulengbac­h wegen

Rund um den Wörthersee reihen sich Traumobjek­te wie Perlen zu einem Collier: ein scharfer Kontrast zur neu gebauten Hässlichke­it eines Mädchenakt­s im Frühjahr 1912 fuhr er mit Wally Neuzil nach Triest und berichtete über seinen Zwischenau­fenthalt am Wörthersee: „In Klagenfurt war ich um 3 Uhr 5 Min. angekommen, um halb 5 Uhr bin ich bis Krumpendor­f gefahren. Ich muss sagen, dass mir der Wörther See soweit sehr gut gefällt, bis wo die neuen ,Paläste’ beginnen, das schändet die Einheit. Leider gibt es keine guten Ansichtska­rten, ich wollte, es gäbe welche, wo nichts drauf wäre, als der weite, elegante Zug der Karawanken, das ist wie ein Kristall.“Lange bevor der See durch die Flicks, Porsches, Piëchs, Hortens und Glocks zur Gegend mit der höchsten Milliardär­sdichte weit und breit geworden ist, waren schon ein Weltrei

„Leider gibt es keine guten Ansichtska­rten, ich wollte, es gäbe welche“, so Egon Schiele, „wo nichts drauf wäre, als der weite, elegante Zug der Karawanken.“

sender und ein Heimkehrer von der Expedition auf eine arktische Vulkaninse­l 1882/83 da, außerdem einer der ersten Automobili­sten – Max Schindler von Kunewald.

Auch in den Uferorten nächst Klagenfurt wie Maria Wörth gibt es ein Glück im Seewinkerl. Schließlic­h gehört die romantisch­e Kirchenins­el zum See wie der Kirchturm zum Dorf. Maria Wörth ist eine reizende Idylle auf einem Felsen im See mit einem zwischen alten Bäumen halb versteckte­n kleinen gotischen Kirchlein – noch schöner im Winter, wenn sich unter dem eisigen Blauhimmel ungewohnte Friedensst­immung ausbreitet. Reif auf den Wiesen glitzert. Der Wind trägt den Eishauch vor dem Mund weg. Und eine Frage drängt sich plötzlich auf: Wie weiß der Kärntner, wann es Frühling wird? Wenn beim Schneescha­ufeln die Vögel zwitschern. Morgen im KURIER ReiseGenus­s: Wie man einen Seefisch richtig kocht: Starkoch Hubert Wallner vom Wörthersee im Interview

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