Kurier (Samstag)

Radikale Pro-Irland-Partei gewinnt in Nordirland

Denkzettel für Boris Johnson bei Wahlen

- GEORG SZALAI, LONDON

Großbritan­nien. „Sonst wähle ich konservati­v, aber nicht, solange es keinen integren Parteichef gibt“, erklärt Ruth im Londoner Stadtteil Wandsworth, warum ein Denkzettel nötig war. Herbe Verluste und so manche symbolisch­e Watschen kassierten Premier Boris Johnson und seine Tories bei den britischen Kommunalwa­hlen.

Und das, obwohl ParteiAkti­visten vor den Bezirksund Gemeindera­tswahlen in England, Schottland und Wales betont hatten: „Boris steht nicht auf dem Stimmzette­l.“So wollten sie sich von Skandalen wie der Partygate-Affäre um Lockdown-Feiern und mangelnde Hilfe für Inflations­geplagte distanzier­en.

Dennoch verlor die Partei in der Hauptstadt, wo Johnson lange Bürgermeis­ter war, drei Hochburgen an Labour – Wandsworth, Westminste­r, wo der Premier dank Regierungs­sitz selbst wählt, und Barnet.

Obwohl der Fokus auf lokalen Themen wie Müllabfuhr und Verkehr lag, war der Urnengang als erste große Wahl seit Partygate ein wichtiger Stimmungst­est für Johnson. Wie sehr seine Position weiter geschwächt wird, hängt von den Endergebni­ssen ab – und wie Kollegen diese lesen.

Obwohl der Premier seit Längerem unter Druck steht, genoss er bisher den Ruf als Wahlsieger. Wenn sich Zweifel an Johnsons Zugkraft bei der nächsten Parlaments­wahl mehren, könnten ihm weitere Misstrauen­sbriefe seiner Unterhaus-Mandatare und eine fraktionsi­nterne Abstimmung über seine Zukunft drohen. Hochrangig­e Tories stellten sich aber hinter ihren Chef.

Dieser gestand eine „harte Nacht in manchen Landesteil­en“ein. Manche Tory-Lokalpolit­iker gaben ihm die Schuld für ihre Niederlage­n, einer forderte sogar seinen Rücktritt; andere sprachen von einem „Warnschuss“der Wähler.

Labour-Chef Keir Starmer sah dagegen einen „Wendepunkt“für seine Partei. Experten treten auf die Bremse: Labour sei nach 12 Jahren Opposition „nicht unbedingt auf Siegeskurs bei der nächsten Wahl“, meinte Wahlforsch­er John Curtice. „Die Partei hat noch viel Arbeit vor sich.“

Die kleineren Liberaldem­okraten konnten sich – Stand Freitagabe­nd – sogar über mehr Mandatsgew­inne als Labour freuen. Die BBC nannte die Wahlen in England eine „Abfuhr“, aber keine Katastroph­e für die Tories.

Sinn Fein siegt in Belfast

Ganz anders könnte das in Schottland aussehen. Dort musste die regierende Unabhängig­keitsparte­i die Ablöse durch Labour befürchten.

Kopfschmer­zen drohen Johnson auch nach den Wahlen zum nordirisch­en Parlament: Dort wird Sinn Fein, die für die Vereinigun­g mit Irland eintritt, voraussich­tlich stärkste Partei.

Erstmals wäre, wie in Schottland, eine von London fortstrebe­nde Partei stärkste Kraft. In der ehemaligen Bürgerkrie­gsprovinz sieht der Friedensve­rtrag von 1998 eine Koalition der stärksten pro-britischen und der stärksten pro-irischen Partei vor. Die aber klappt seit Jahren nicht. Die London-treue Partei blockiert wegen des Brexit.

Boris Johnson erhielt für seine jüngsten Skandale bei den Kommunalwa­hlen die Quittung – vor allem in London

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