Kurier (Samstag)

„Nicht alles, was populär klingt, ist sinnvoll“

Finanzmini­ster. Magnus Brunner hält nichts von einer Mehrwertst­euersenkun­g auf Lebensmitt­el. Den umstritten­en Vorstoß des Bundeskanz­lers zur Gewinnabsc­höpfung börsenotie­rter Energiefir­men verteidigt er

- VON ANTONIA FLIESSER

Pandemie, Krieg und Inflation: Selbst für einen ÖVP-Finanzmini­ster hat da ein ausgeglich­ener Haushalt nicht mehr oberste Priorität. 2026/27 hofft Magnus Brunner aber dennoch, dieses Ziel zu erreichen. Im Club 3 von KURIER, Krone und Profil nimmt er außerdem zu Steuerrefo­rm, Gaspreis, Sanktionen und dem Vorarlberg­er Wirtschaft­sbund Stellung.

Bundeskanz­ler Karl Nehammer hat Ihnen wohl Kopfzerbre­chen beschert, indem er kürzlich von einer Gewinnabsc­höpfung beim Verbund sprach. Seither ist die Aktie auf Talfahrt. Wie kann man das wieder einfangen? Magnus Brunner: Er hat die Situation dargestell­t, wie sie ist: Wir haben die Verknüpfun­g zwischen Gaspreis und Strompreis und das Merit-Order-System*. Es sind jetzt Gewinne bei Stromkonze­rnen gegeben, die nicht so gedacht waren. Das muss man hinterfrag­en, und das hat Nehammer gemacht.

Die ÖVP war einmal eine Wirtschaft­spartei. Warum so ein derartiger Eingriff in das Recht von Aktionären?

Die ÖVP ist eine Wirtschaft­spartei, daran hat sich nichts geändert. Aber in so einer außergewöh­nlichen Situation muss man etwas tun und der Bevölkerun­g auch etwas zurückgebe­n.

Das Merit-Order-System ist eine EU-Regelung – wird es da einen Vorstoß geben?

Ja, man kann bei den Energiemin­istern dringend darüber sprechen. Das hilft akut leider nicht.

Die ökosoziale Steuerrefo­rm ist unter großem PR-Aufwand kommunizie­rt worden. Inzwischen ist die Inflation stark gestiegen. Müsste es daher nicht weitere Maßnahmen geben, etwa eine Senkung der Lohnnebenk­osten?

Vor einigen Monaten war ich für die Steuerrefo­rm, auch weil man Schwerpunk­te setzen kann in Richtung Ökologisie­rung und Digitalisi­erung. Mittlerwei­le weiß man, dass die Inflation doch nicht nur kurzfristi­g hoch ist, sondern mittel- bis langfristi­g. Dadurch hat sich auch mein Zugang verändert. Die Senkung der Lohnnebenk­osten ist ein Thema, aber auch strukturel­le Maßnahmen wie die Abschaffun­g der kalten Progressio­n.

Die Steuerrefo­rm kostet 18 Milliarden Euro, die Abschaffun­g der kalten Progressio­n 11 Milliarden, das Pflegepake­t eine Milliarde. Wie soll man das alles finanziere­n?

In herausford­ernden Zeiten sind solche Maßnahmen notwendig, um wieder Wachstum zu generieren und die Kaufkraft anzukurbel­n. Aus den wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie sind wir hervorrage­nd herausgeko­mmen, das Defizit war wesentlich geringer als geplant, und das hauptsächl­ich aufgrund der höheren Einnahmen. Der Krieg in der Ukraine hat die Situation eingetrübt.

In welchem Jahr werden wir wieder einen ausgeglich­enen Haushalt haben? Ursprüngli­ch wollten wir 2025 wieder in Richtung eines ausgeglich­enen Budgets kommen. Unser Ziel ist, das ein bis zwei Jahre später zu erreichen.

Wir wissen nicht, ob weiter russisches Gas kommt. Gäbe es im Notfall spezielle Hilfen für besonders energieint­ensive Industriez­weige?

Wir haben die Energieabg­abe um 90 Prozent gekürzt, die Ökostrom-Pauschale und den Förderbetr­ag auf null gesetzt. Das hilft gerade der Industrie sehr, aber auch den privaten Haushalten. Wir sind sehr abhängig vom Gas, besonders vom russischen Gas zu 80 Prozent. Deswegen sind wir bei den Sanktionen sehr zurückhalt­end. Die Frage ist: Treffen sie einen selber mehr als den, den es treffen soll? Beim Öl ist es einfacher, weil wir nicht so eine Abhängigke­it wie beim Gas haben.

Wir haben eine KURIER-Meinungsum­frage von OGM über Anti-Teuerungsm­aßnahmen. 44 Prozent wünschen sich eine Senkung der Lohn- und Einkommens­steuer. Weitere Forderunge­n: Steuersenk­ung auf Energie und Treibstoff­e, Mehrwertst­euersenkun­g auf Lebensmitt­el, Sozialleis­tungen der Inflation anpassen und Zuschüsse an Einkommens­schwächere …

Das sind weitgehend die Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben. Wir entlasten die Menschen mit vier Mrd. Euro zusätzlich zur Steuerrefo­rm. Eine Mehrwertst­euersenkun­g bei Lebensmitt­eln halte ich hingegen nicht für sinnvoll. Die Konzerne würden das wahrschein­lich nicht so weitergebe­n. Außerdem profitiere­n die, die mehr und teurere Lebensmitt­el einkaufen, also eher die Besserverd­iener, mehr. Nicht alles, was populär klingt, ist sinnvoll.

Die WKStA ermittelt gegen den Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner. Sie werden als möglicher Nachfolger genannt – haben Sie eine Haltung dazu?

Ja, habe ich, und die Haltung ist klar, dass ich gerne Finanzmini­ster bin und bleibe.

Sie waren auch im Wirtschaft­sbund tätig. Wallner tut so, als hätte er damit nichts zu tun …

Markus Wallner hat mein Vertrauen. Der Vorarlberg­er Wirtschaft­sbund hat aber in den letzten Wochen kein schönes Bild abgegeben. Darüber bin ich als Mitglied, muss ich ehrlich sagen, auch nicht erfreut. Natürlich muss das aufgearbei­tet werden.

* Die Kosten der Stromerzeu­gung sind variabel. Die Merit Order ist die Einsatzrei­henfolge der Kraftwerke. Dabei werden zuerst die günstigste­n Kraftwerke zur Deckung der Nachfrage eingesetzt. Preisbesti­mmend ist das letzte Kraftwerk mit den höchsten Grenzkoste­n, das zur Deckung der Nachfrage benötigt wird.

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Finanzmini­ster Magnus Brunner (2. v. re.) beim Club-3-Talk mit Georg Wailand („Kronenzeit­ung“), Martina Salomon (KURIER) und Christian Rainer („Profil“; v. li.)

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